Armut in deutschen Großstädten


obdachlos in Mailand
Obdachlose (Public Domain by Giovanni dall'Orto)

In den großen Städten sammelt sich das Elend. In der sozialen Kontrolle der ländlicheren Städten und Gemeinden halten sie’s nicht aus. Anonymität bietet auch Schutz vor verbalen Übergriffen. Untertauchen in der Großstadt.

Das Thema ist zu gewichtig, um es ausgerechnet den Kirchen zu überlassen. Seit ich George Orwell: Down and out in Paris and London las,sehe ich anders hin. Elend ist nie schön. Aber es ist zunehmend vorhanden. Das geht uns alle an.

Armut ist die Kehrseite unserer faktisch vorhandenen Geld-Religion.

Von Marco Carini, taz

In Hannover und Bremen ist jeder Fünfte „armutsgefährdet“, sagt das Statistische Bundesamt. Obwohl auch eine Großstadt, schneidet Hamburg deutlich besser ab.

In keiner anderen westdeutschen Großstadt leben so viele Menschen an der Armutsgrenze wie in Hannover und Bremen. Zu diesem überraschenden Befund kommt eine am Mittwoch (30. Juni 2010) veröffentlichte Untersuchung des Statistischen Bundesamtes auf der Grundlage der Microzensus-Befragung von 2008. Danach sind jeweils 22 Prozent der Einwohner beider Metropolen „armutsgefährdet“, da sie mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung auskommen müssen. Nur in Leipzig steht mit 27 Prozent ein größerer Einwohneranteil am Rande des Existenzminimums.

Die Untersuchung beweist: Die Armutsgefährdung in den deutschen Großstädten ist im Vergleich zum Bundesmittel von 14,4 Prozent überdurchschnittlich. Neben München existiert dabei lediglich in Hamburg (13,1 Prozent) ein leicht unterdurchschnittliches Armutsrisiko.

Problem der Statistik: Sie liefert kaum konkrete Aussagen über die Hintergründe. Ein Vergleich der Faktoren, die eine Armutsgefahr bedingen, existiert nur für die Bundesländer und Stadtstaaten, nicht aber für die Metropolen. „Soweit sind wir leider noch nicht“, entschuldigt Amts-Sprecherin Bettina Mertel das Zahlenloch.

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10 Comments

  1. Das ist so eine Sache. Ich verstehe die Situation der Menschen. Als logische Folge gehen sie auf die Strasse. Aber viele Menschen fühlen sich durch Obdachlose gestört oder bedroht oder wie auch immer man das nennen mag. Das verstehe ich natürlich auch. Nur wie man nun diese Problematik in den Griff bekommen möchte ist ein anderer Diskussionspunkt. Schließlich wirkt sich die Armut auf alle aus, auf den einen direkt und auf den anderen indirekt. Mal sehen, wie die politischen Maßnahmen aussehen werden. Ist doch im Endeffekt wieder eine politische Angelegenheit….wie so oft

    kommerziellen Link entfernt, nochmal und ab geht es in den Spam-Filter.
    Anm. Red. Blog

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  2. Nochmal auf das schon erwähnte Buch hinweisen möchte.

    Das basiert auf Daten.
    nicht auf Meinungen, Zuschreibungen und affektiven aktivitäten….

    Interessant zB folgender Zusammenhang (über die ursache kann man spekulieren, oder aber man forscht halt weiter…) über die Gesundheit und die lebenserwartung in Ländern mit großen Ungleichheiten.
    man sollte vermuten, die ganz Reichen werden dort viel älter und sind viel gesünder (höhere Lebensqualität).
    Nun, im Vergleich zu ihrer Unterschicht schon, und das von Geburt an.
    Nicht jedoch im Vergleich zu Ländern mit wesentlich stärkerer Egalität…

    Aber so lange Gier positiv gesehen wird, nun ja. Bleibts halt so.
    und die Mutlosigkeit nimmt halt zu. Und die Eigenverantwortung eben ab. Und die Folgen sind ziemlich absehbar.

    ich hab übrigens 6 jahre mit Sozialhilfe und Kindern (alleinerziehend) überlebt. Schon damals war das ein hartes Brot, und bevor man die rechtlichen Grundlagen aus dem Ef-Ef kennt, ist man noch hilfloser als nötig.
    ZB wurde in meine Fenster zu gucken versucht, um zu entdecken, ob ich „Herrenbesuch“ hätte (ja, hatte ich).
    Aufgefallen wars mir, weil die staatliche Stelle vorsichtig versuchte, gegen meine Gardinen zu protestieren….
    (einzelfalll, ich weiß).

    Dann hab ich studiert, und der Bewegungsrahmen wurde noch enger.
    und wie es mit Arbeit aussieht, muß ich ja sicher nicht weiter verbreiten.
    Also, bezahlter Arbeit, meine ich.
    unbezahlt könnte man 25 h den Tag arbeiten, keine Frage.

    Daß ich nicht aufgegeben habe, ist vermutlich reiner Zufall. Eventuell auch Glück.

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  3. @ vindexsinenomine:
    „…Wer behauptet denn, dass alleinerziehende Mütter auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind…“

    „…Laut Familienreport 2010 des Bundesfamilienministeriums leben 41 Prozent der 670 000 Alleinerziehenden von staatlichen Transfers…“

    „…Dabei gibt es etwa in Berlin, wo die Quote der Alleinerziehenden bundesweit am höchsten ist, längst ein ausreichendes Angebot an Krippen, Kindergärten, Horten und Ganztagsschulen. Die Zahl der Fürsorge-Mütter steigt dennoch weiter…“
    http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/article8194712/Kinder-machen-nicht-arm.html

    „…Ein Viertel aller Schulabgänger sind nach Ansicht des Handwerks nicht ausbildungsfähig. Die Jugendlichen weisen gravierende Bildungslücken auf…“
    http://www.welt.de/wirtschaft/article2094018/Schulabgaenger_oft_nicht_ausbildungsfaehig.html

    „…Danach verlassen 13,3 Prozent der Migrantenkinder die Schule ohne Abschluss – ein Drittel mehr als noch in den Vorjahren…“

    „…Es sind nicht nur deutsche Hochschulabsolventen, die im Ausland bessere Perspektiven für ihre Karriere sehen, sondern zunehmend auch Deutsche mit Migrationshintergrund (..) der Verlust dieser Hochqualifizierten bedroht die deutsche Wirtschaft. „Schon 2015 können drei Millionen Arbeitskräfte fehlen“, warnt Professor Klaus Bade, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration in Berlin. Zugleich machten hoch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland um Deutschland „einen großen Bogen“…“
    http://www.welt.de/die-welt/politik/article8327965/Mehr-Migrantenkinder-ohne-Schulabschluss.html

    „…Das Durchschnittsalter der deutschen Ingenieure beträgt heute 50 Jahre. In den kommenden zehn Jahren werden bis zu 450.000 Ingenieure den Arbeitsmarkt verlassen. Selbst unter der positiven Annahme, dass jedes Jahr 40.000 Absolventen nachkommen, können wir gerade mal den Ersatzbedarf decken. Aber der Anteil der Ingenieure an den Beschäftigten steigt…“
    http://www.faz.net/s/RubC43EEA6BF57E4A09925C1D802785495A/Doc~E0CBA3237CCD241A8B2EDB606C18FFAAA~ATpl~Ecommon~Scontent.html

    Mir ging es um die Frage, wie der Sozialstaat in der jetzigen Form noch finanziert werden kann, wenn die Entwicklung so weiter läuft, wie sie läuft. Die „Kopf-in-den-Sand“-Methode wird bei dieser demographisch- gesellschaftlichen Entwicklung sicher nicht weiterhelfen, wöchentlich neue Armutsdefinitionen wohl auch nicht“

    Die Lösung wäre sicher einen Nobelpreis wert…

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  4. Armut gab es schon immer und ist keine neue Erfindung. Im Mittelalter war das Betteln sogar eine gesellschaftliche Institution, weil eine Wohltat für einen Bettler, der auf Grund seiner Armut eh schon im Himmel einen Platz hatte, dem eigenen Seelenheil oder dem eines Verwandten, tot oder lebendig, in Richtung Himmel half. Eigentlich kann man sagen, dass es den Armen in Deutschland selten so gut ging. Es wird viel Geld ausgegeben und Arbeitslose sitzen nicht auf der Straße, sondern haben noch ein Leben, das sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts kein Arbeiter leisten konnte.

    Großstädte sind nun einmal Großstädte und die haben ihre eigene soziale Dynamik. Städte gelten als Orte für Chancen.
    Wie einer meiner Professoren einmal meinte, verstehen wir Slums falsch. Wir sehen Armut, Krankheit und Mängel, während die Slumbewohner oft Chancen und ein besseres Leben sehen , ein Leben, das sie als Landbewohner nicht hätten. Sich im Slum von der Barmherzigkeit anderer zu ernähren ist für viele eine Verbesserung im Vergleich zu einer Existenz als Bauer, der hart arbeiten muß, damit er vielleicht genug verdient, um das Existenzminimum zu erreichen und dennoch häufiger hungert als ein Slumbewohner.

    Wer sich mit der Vor- und Frühgeschichte auskennt, weiß, daß wirtschaftlicher Erfolg immer mehr materiellen Reichtum und eine größere soziale Differenzierung bringt. Das ist keine neue Entwicklung, das war in der Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit nicht anders. So funktionieren Menschen nun einmal unabhängig von Religion und Weltanschauung.

    Armut kommt nicht nur durch den Stress, den die Wirtschaft durch immer mehr bzw. zu viel Wettkampf erzeugt oder ihre seltsamen Sparmaßnahmen, es gilt Initiative zu fördern, es gilt dafür zu sorgen, daß Bildung ankommt und geschätzt wird, es gilt Menschen, die meinen Hartz IV sei ihr größtes Glück, auf die Füße zu treten , es gilt den Leuten ein vernünftiges Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, damit sie den Mut haben Risiken einzugehen und ihre Chancen nutzen, usw. . Armut kann man auf viele Arten angehen, man muß nur eben die Schuld auf allen Seiten suchen.

    Unser Demographieproblem läßt sich durch die Übernahme französischer Vorbilder angehen. Die Franzosen werden immer später Eltern, aber schaffen es durch ein niedriges Kindergeld und kostenloser, flexibler Betreuungsangebote und Schulen auf eine Geburtenrate von 2,1.

    @tischl
    Wer behauptet denn, daß alleinerziehende Mütter auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind und ebenso ein Verlust sind wie unausgebildete Jugendliche? Die Frauen arbeiten oft und haben Kinder, wo ist da ein Problem?

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    1. Also wenn jemand im Ernst sagt, es gäbe „Menschen, die meinen Hartz IV sei ihr größtes Glück“, der kennt weder die Menschen noch die Verhältnisse außer vom Hörensagen. Manche Medien verbreiten da viel Schund. Aber nur weil ab und zu ein gekoofter Selbstdarsteller in mülligen Talkshows oder inder Krawallgazette mit den 4 Buchstaben solche idiotischen Thesen vertritt, wird kein vernünftiger Mensch diesen Unsinn „nachbeten“.

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  5. gibt ein interessantes Buch zum Thema, Moment muß gucken…

    Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind von Kate Pickett, Richard Wilkinson, und Till Tolkemitt

    Das sind Epidemiologen, die einfach nur gegebene Daten auswerten. sehr aufschlußreich.

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  6. Die Frage ist nur: Wo bekommen wir die vielen Wohlhabenden her, um die wachsende Zahl an nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen und alleinerziehenden Müttern durchzubringen? Das alles bei einer hohen Auswanderungsquote von Akademikern und einem zunehmenden demographisch bedingten Ingenieursmangel?
    Nicht ironisch gemeint!

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  7. Der Autor von »Erledigt in Paris und London« (wie der deutschsprachige Titel von »Down and Out in Paris and London« lautet) heißt George Orwell.

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