
Wissenschaft und Glaube: Autor Michael Köhlmeier und Generalvikar Nikolaus Krasa über die Schöpfungsgeschichte, wunderbare Fruchtfliegen und die „Kirche von Apple“
Interview | Peter Mayr, Markus Rohrhofer – derStandard.at
STANDARD: Herr Köhlmeier, Sie haben einmal gesagt: „Wenn ich Carl von Linné lese, der gerade Wespen beobachtet, da hab ich mehr religiöse Gefühle, als wenn ich eine Predigt höre.“ Sind Insekten so spirituelle Tiere; oder predigen Österreichs Priester so langweilig?
Köhlmeier: Ich habe schon lange keine Predigt mehr gehört. Wie Hamlet sagt: Worte, Worte, Worte. Die bloße Anschauung von Natur kommt einer Offenbarung am nächsten. Je genauer ich Natur betrachte – und Linné hat sie sehr genau beobachtet -, desto unbegreiflicher wird sie mir erscheinen. Dann spüre ich ein religiöses Empfinden. Das spüre ich selten bei Worten.
STANDARD: Weil hinter diesen vielleicht zu wenig steckt?
Köhlmeier: Worte sind selber gemacht. Wenn ich Worte von Shakespeare oder von Rilke lese oder den vielen anderen Dichtern, die ich liebe, dann bin ich bewegt. Oder wenn ich Musik höre, die ich liebe. Ich denke mir: Das haben wir geschaffen. Dass ich derselben Gattung angehöre wie Mozart, das erhebt mich. Die Natur, die haben wir nicht selber gemacht. Verstehen Sie? Bei der Natur kann ich mit dem Mikroskop draufhalten bis ins Allerletzte, und jedes Mal ist es ein Wunder. Natur kennt keine Begrenzung. Kunst ist immer auf eine bestimmte Dimension angelegt. Der Petersdom wirkt auf eine andere Entfernung wie die Saliera. Und eines ist schon klar: Gegen ein Gänseblümchen kann auch der beste Prediger nicht an.