Armin Nassehi: „Wissen schränkt unseren Horizont ein“


foto: apa/schlager „Jegliche Form von Wissen schränkt unseren Horizont ein“: Armin Nassehi
Wissenssoziologe Armin Nassehi über altes und neues Wissen und eine Welt in der Krise, die sich wiederverzaubert.

Interview | Lisa NimmervollderStandard.at

STANDARD: Bei der Matinee „Europa im Diskurs – Debating Europe“ im Burgtheater wird am Sonntag (11.00 Uhr) über „Die Zerstörung des Wissens?“ diskutiert. Wird das Wissen wirklich zerstört?

Nassehi: Das ist ja fast eine ironische Bemerkung. Um neues Wissen herzustellen, muss man altes Wissen zerstören, was die Wissenschaften immer gemacht haben. Erkenntnisfortschritt hat immer damit zu tun, dass man letztlich Wissen oder Gewissheiten, die man vorher für richtig gehalten hat, zerstört oder zumindest infrage stellt. Zugleich erwarten wir vom Wissen unglaublich viel: dass Sätze, die uns sagen, dass wir etwas wissen, unabhängig von dem, der es beobachtet, gelten. Was wir zurzeit beobachten, ist, dass es zu den unterschiedlichsten Problemen ganz unterschiedliche Wissensformen gibt. Das heißt, wenn man Wissen in Anspruch nimmt, wird man bisweilen eher verunsichert, als dass man sich Sicherheit ins Haus holt. Damit wird nicht unbedingt Wissen zerstört – aber die Sicherheit, die wir vom Wissen erwarten.

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2 Comments

  1. „Um neues Wissen herzustellen, muss man altes Wissen zerstören, was die Wissenschaften immer gemacht haben.“

    Das ist natürlich extremer Humug, so etwas kann sich nur jemand ausdenken, der nie im Leben wissenschaftlich forschend tätig war und keine Ahnung hat, wie das im Detail funktioniert. Nahezu alle „Entdeckungen“ entstehen, nachdem man Monate und Jahre alte Ergebnisse nachvollzogen, geprüft, variiert und unter viele Aspekten durchdacht hat, urplötzlich kommt eine winzige Kleinigkeit dazu und man hat etwas, das viel viel weiter geht

    Wissenschaft ist eine offene, freie und im Ergebnis neutrale Methodologie des Zweifels, sie nutzt Theorien, Hypothesen, Tests, Fakten und Fossilien immer wieder auf der Suche nach einer beweisbaren Erklärung für eine allen Forschenden frei zugängliche und beliebig prüfbarer Realität.

    Mit neuen Analysemethoden, mit höherer Messgenauigkeit, mit neuen Funden wird „altes Wissen“ mehrheitlich ergänzt, erweitert und/oder zur abweichenden Schlußfolgerung geleitet. Dabei wird nichts zerstört, sondern eher der formalige Stand des Wissens bestätigt.

    Als frühe Astronomen zur Erkenntnis kamen die Erde ist eine Kugel, war das etwas Neuses gegen millionenfachen all-wissenden Aberglauben von Vollidoten die Vorgaben vom himmlischen Zombie erhellt worden zu sein. Wenn heute durch Messungen per Satelliten bekannt ist, dass die Erde eher eine schrumpelige Kartoffel und keine runde Kugel ist, zerstört das doch nicht die Erkenntnis der frühen Astromen

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  2. Falsifizierung nannte Karl Popper diese seit eh‘ bestehende „Zerstörung empirischen Wissens“ durch neue Arbeitshypothesen. 😉

    Richard Feynman brachte empirisches Wissens in seinen Vorlesungen in den 60er Jahre beim CalTech auf drn Punkt:

    „If, in some cataclysm, all of scientific knowledge were to be destroyed, and only one sentence passed on to the next generation of creatures, what statement would contain the most information in the fewest words? I believe it is the atomic hypothesis that all things are made of atoms — little particles that move around in perpetual motion, attracting each other when they are a little distance apart, but repelling upon being squeezed into one another. In that one sentence, you will see, there is an enormous amount of information about the world, if just a little imagination and thinking are applied.“ 😉

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