Eben erst gehörte auch das Judentum zu Deutschland, es hatte eine Zukunft und ein Zuhause; nun wird den Juden von ihren Funktionären geraten, sich nicht erkennbar zu machen. Das Ende aller Illusionen.
Von Henryk M. Broder—DIE WELT
Im September 1902, also vor beinahe 112 Jahren, als es noch keine Computer, kein Internet und keine E-Mail gab, als Artikel von Hand geschrieben und in Blei gegossen wurden, veröffentlichte der größte aller Satiriker, Karl Kraus, in seiner „Fackel“ einen Artikel über einen Prozess, bei dem es um das Verhältnis einer Petersburger Dame zu einem Wiener Anwalt ging. Sie hatte ihm Briefe geschrieben, die der Vorsitzende des Gerichts als „das Unflätigste, das eine Frau überhaupt schreiben kann“, beurteilte.
Was Kraus seinerseits zu der Feststellung veranlasste, „die richterliche Naivität“ gerate „jedes Mal in grenzenloses Staunen, sooft die Fabelkunde in den Gerichtssaal dringt, dass es in der weiten Welt so etwas wie außerehelichen Geschlechtsverkehr gebe“.