Glaubensfreiheit und Scharia


Alle die gegen die Scharia sind, heben die Hand
Moderne Verfassungen enthalten meistens Angaben über die Institutionen in einem Staat und über staatliche Kompetenzen, wobei in Grundgesetzen von föderalistisch organisierten Staaten wie in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz auch eine Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern respektive Bund und Kantonen zu finden ist.

Von Giordano Brunello | Richard-Dawkins-Foundation

Abgesehen von diesen uns hier nicht näher zu interessierenden Inhalten widerspiegeln moderne Verfassungen insbesondere auch die wesentlichen Grundwerte, die in einem Staatswesen gelten. Eine hervorragende Rolle spielen dabei nebst dem Demokratieprinzip vor allem die in den Grundrechtskatalogen aufgeführten Grundrechte, die im klassischen Verfassungsrecht primär als Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates verstanden werden. In meinem Land, der Schweiz, sollen sie aber darüber hinaus in der ganzen Rechtsordnung ihre Wirkung entfalten können und wo dies möglich ist, sogar unter Privaten wirksam werden (Art. 35 BV). Das bedeutet im Ergebnis, dass hinter jeder staatlichen Handlung in der Schweiz die Wahrung und im Idealfall sogar die Förderung der Verwirklichung der Grundrechte stehen sollte. Diese durchaus moderne Forderung der Bundesverfassung verdeutlicht auf eine besonders schöne Art und Weise, wie weitreichend und prägend der Einfluss der Grundrechte auf unseren Staat und auf unsere Gesellschaft ist und weshalb insbesondere die Bundesverfassung vor allem mit ihrem Grundrechtskatalog die wesentlichen ideellen Grundwerte unserer schweizerischen Gesellschaftsordnung widerspiegelt, wie ich vorhin angegeben habe.

In der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird das Grundrecht, das von den meisten Deutschen als Religionsfreiheit bezeichnet wird, unter dem etwas umständlicheren aber viel ausdrucksvolleren Begriff Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) aufgeführt, dies obwohl auch das Deutsche Grundgesetz in Art. 4 GG auch von der „Freiheit des Glaubens” spricht. Weder die Bundesverfassung noch das Grundgesetz schützen die Inhalte einer Religion und schon gar nicht ihre religiöse Verbindlichkeit oder ihre Übereinstimmung mit einer bestimmten religiösen Doktrin. Das Grundgesetz schützt vielmehr – so ausdrücklich – das „religiöse Bekenntnis”, was selbstverständlich auch in der Schweiz gilt, wobei dieses „religiöse Bekenntnis” nach modernem Verfassungsverständnis keinerlei inhaltliche Vorgaben erfährt. Dieser Umstand bedeutet, dass jedes religiöse Bekenntnis ausnahmslos gleichwertig und schützenswert ist. Mit anderen Worten wird beispielsweise der Glaube eines Christen, der in seine persönliche Religion Elemente des tibetanischen Buddhismus und der jüdischen Kabbala eingebaut hat und in Jesus einen sozialistischen Hippie sieht, nicht schlechter geschützt als der Glaube eines streng den Lehren der Römisch-Katholischen Kirche folgenden Katholiken. Bei dieser überaus liberalen Betrachtungsweise, gemäß welcher unterschiedlichste und überaus individuelle Glaubensbekenntnisse existieren können, ist sogar das religiöse Bekenntnis eines Menschen zu einer zu 100% selbstkonstruierten Religion gleichwertig mit dem Bekenntnis eines Menschen zu einer Religion in ihrer klassischen und als „rein” verstandenen Form.

Die Bundesverfassung sieht in Art. 36 BV vor, dass Grundrechte eingeschränkt werden können, was auch für die Glaubens- und Gewissensfreiheit gilt. Dazu braucht es eine gesetzliche Grundlage (bei schweren Eingriffen sogar eine ausdrückliche); die Einschränkung muss sodann durch ein öffentliches Interesse oder aufgrund Grundrechte anderer gerechtfertigt sein und ferner muss der Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Zu guter Letzt darf eine Einschränkung den sogenannten Kerngehalt des Grundrechts nicht verletzen, weil dieser als unantastbar gilt. Mit anderen Worten erübrigt sich die Überprüfung, ob die anderen Voraussetzungen erfüllt sind, sofern schon der Kerngehalt durch einen staatlichen Eingriff verletzt würde.

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