Wir brauchen keine atheistische Religion


Ich bin vor ein paar Wochen aus dem Förderkreis der Giordano Bruno Stiftung ausgetreten. Die Stiftung verbreitet weiterhin ein irrationales Sammelsurium aus Ideen mit linksradikalen, biologistischen und antitheistischen Einflüssen. Das hat der Essay „Wir glauben an den Menschen …“ von MSS anlässlich des 100.-jährigen Geburtstags des Evolutionären Humanismus nun wieder deutlich gemacht.

Andreas Müller | Richard-Dawkins-Foundation

Es ist fast so, als würde die GBS die C.K. Chesterton zugeschriebene Aussage beweisen wollen: „Wenn Menschen nicht mehr an Gott glauben, dann glauben sie nicht an nichts. Sie glauben an alles.“

Der Evolutionäre Humanismus wurde stark von zwei Büchern beeinflusst, die beide denselben philosophischen Fehler begehen: „Ethik: Ursprung und Entwicklung der Sitten“ des Anarchisten Pjotr Kropotkin und „Essays of a Biologist“ des Evolutionsbiologen Julian Huxley, beide 1923 veröffentlicht. Kropotkin widerspricht mit seinem Buch den Sozialdarwinisten seiner Zeit und beschreibt Kooperation zum gegenseitigen Vorteil, die „gegenseitige Hilfe“ im Tier- und Menschenreich.

Sein-Sollen-Fehlschluss überall

Das Problem: Man kann Sollen nicht aus dem Sein, keine normativen Aussagen aus deskriptiven Beobachtungen ableiten. Insofern ist es gleichgültig für die Ethik, ob die Evolution besser als Überleben der Stärksten oder Überleben der Kooperativsten verstanden werden kann. Wenn Kropotkin eine Ethik aus der Evolution ableitet, begeht er denselben philosophischen Fehler wie die Sozialdarwinisten.

Julian Huxley war ein Eugeniker, der sich dafür einsetzte, dass „die wenigen niedrigsten und degeneriertesten Arten (von Menschen) so gut wie ausgelöscht werden.“ Konkret mittels Geburtenkontrolle und Sterilisierung. (Hubback D. „Julian Huxley and eugenics.“ 1989. In Keynes M. and Harrison G. A. (eds) Evolutionary Studies: A Centenary Celebration of the Life of Julian Huxley. Macmillan, London.). Das ist die Art von Sache, die dabei herauskommen kann, wenn man ethische Normen aus der Evolution folgert. In erster Linie war Huxley aber für seinen säkularen Humanismus bekannt. Keine Ahnung, wie der zur Eugenik passen soll.

Abseits davon ist die GBS-Denkweise von linksliberalen Ideen beeinflusst. Die GBS setzt sich für ein sehr weitgehendes Recht auf Abtreibung und Sterbehilfe ein und begründet das insbesondere mit individueller Freiheit. Allerdings: Nicht zuletzt treiben Frauen ab, die sich ökonomisch nicht in der Lage sehen, sich um ein Kind zu kümmern, und alte Menschen nehmen Sterbehilfe auch dann in Anspruch, wenn ihr soziales Umfeld kein hinreichendes Interesse an ihrem Weiterleben hat. Daraus ergibt sich ein eugenischer Effekt. Das ist der GBS wahrscheinlich nicht einmal bewusst.

Schließlich greift die Stiftung bereitwillig gesellschaftliche Trends auf und hält die für ethischen Fortschritt. Viele der von Abtreibung und Sterbehilfe Betroffenen leiden nur darum, weil die Gemeinschaft nicht für sie da ist. Nun kann man dieses Problem lösen, indem man ihre Kinder umbringt. Die andere Lösung ist es, für sie da zu sein. Welche Entscheidung unsere rücksichtslos egoistische Gesellschaft trifft und wie sie diese Entscheidung rationalisiert, das lässt sich leicht erraten. Warum Ayn Rand als ausdrückliche Egoistin ein weitgehendes Recht auf Abtreibung befürwortete, ist leicht zu erkennen. Warum man da als Humanist mitmachen muss, erschließt sich mir nicht. Und nein: Abtreibung und Sterbehilfe kann man auch aus rationalen, philosophischen Gründen kritisch sehen, das hat nichts mit Religion zu tun.

Ich selbst halte Abtreibung und Sterbehilfe für komplexe Themen, die eine Rechteabwägung erfordern. Wie der Philosoph Michael Huemer schrieb: „Falls Ihnen das Thema Abtreibung sehr einfach und offensichtlich erscheint, dann sind Sie wahrscheinlich ein dogmatischer Ideologe und Ihre Ideologie hält sie davon ab, diese sehr subtile, komplexe Frage zu würdigen.“

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