ICC: „Kein Fußsoldat, kein Kommandeur, kein ziviler Führer – niemand – kann ungestraft handeln“


Florian Rötzer | Overton

CC-Chefankläger Khan bei der Begründung der Haftbefehle. Bild: ICC

Es war zu erwarten, dass es zu einer Anklage der Hamas-Führung und von Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) kommen würde. ICC-Chefankläger Karim Khan hatte schon vor allem mit Blick auf die USA angekündigt, sich Drohungen nicht zu beugen. Das wiederholte er jetzt auch wieder in der Klagebegründung, wohl wissend, dass es an Drohungen und Druck nicht fehlen wird. Er machte auch deutlich, dass im Laufe der Ermittlungen weitere Anträge auf Haftbefehle ergehen können. Das betrifft nicht nur Hamas, sondern etwa auch weitere Mitglieder des israelischen Kriegskabinetts. Es kann allerdings lange dauern, bis das Gericht darüber entscheidet, ob die Haftbefehle ausgestellt werden.

Zuletzt hatte die US-Regierung unter Donald Trump die frühere Chefanklägerin und weitere ICC-Mitarbeiter mit Sanktionen belegt und weitere Schritte angekündigt. Der ICC hatte klein beigegeben und die Klage gegen CIA-Mitarbeiter und US-Soldaten wegen Folter in Afghanistan fallenlassen. Auch die Biden-Regierung brauchte länger, um das Vorgehen einzustellen.

Kaum vorstellbar wäre es gewesen, wenn der ICC-Chefankläger Karim Khan weggeschaut hätte, nachdem der ICC 2021 entschieden hatte, für den Gazastreifen nach dem 2015 erfolgten Beitritt des Staats Palästina zum Römischen Statut zuständig zu sein und mögliche Verbrechen, die seit 2014 begangen wurden, zu untersuchen. Die Zuständigkeit wird allerdings von den USA und anderen Ländern wie Deutschland bestritten, weil Palästina kein souveräner Staat sei, was allerdings an Israel liegt.

Wenn nun Khan internationale Haftbefehle gegen die Hamas-Führung und Netanjahu sowie Gallant ausgestellt hat, stellt das natürlich keine Gleichsetzung dar, aber es sind die Gegner in einem „nicht-internationalen Konflikt im Kontext eines internationalen bewaffneten Konflikts zwischen Israel und Palästina“, wie Khan betont, womit er wahrscheinlich auf den Hintergrund anspielt, dass der Konflikt zwischen Hamas und Israel mit der völkerrechtswidrigen Besetzung und Besiedlung palästinensischer Gebiete zusammenhängt. Gesonderte, vielleicht zeitversetzte Haftbefehle auszustellen, wäre seltsam gewesen, nur gegen Hamas oder Netanjahu/Gallant vorzugehen, wäre unmöglich gewesen.

Khan betont immer wieder, dass die Entscheidung unabhängig und unparteiisch erfolgt sei: „Heute unterstreichen wir einmal mehr, dass das Völkerrecht und die Gesetze für bewaffnete Konflikte für alle gelten. Kein Fußsoldat, kein Kommandeur, kein ziviler Führer – niemand – kann ungestraft handeln. Nichts kann rechtfertigen, dass Menschen, darunter so viele Frauen und Kinder, vorsätzlich der lebensnotwendigen Grundversorgung beraubt werden. Nichts kann die Entführung von Geiseln oder die gezielte Tötung von Zivilisten rechtfertigen.“

Mit Blick auf Israel sagte er: „Israel hat, wie alle Staaten, das Recht, Maßnahmen zur Verteidigung seiner Bevölkerung zu ergreifen. Dieses Recht entbindet jedoch weder Israel noch einen anderen Staat von seiner Verpflichtung, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Ungeachtet etwaiger militärischer Ziele sind die Mittel, die Israel zur Erreichung dieser Ziele im Gazastreifen gewählt hat – nämlich die vorsätzliche Verursachung von Tod, Hunger, großem Leid und schwerer körperlicher oder gesundheitlicher Schädigung der Zivilbevölkerung – kriminell.“

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