Dodo des Monats Juli 2007


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Kultusministerin Karin Wolff

Wie Frau Wolff der F.A.Z. mitteilte, »sehe sie in der biologischen Evolution und der biblischen Erklärung für die Entstehung der Welt keinen Widerspruch, vielmehr gebe es in der symbolhaften Erzählung der Bibel von den sieben Schöpfungstagen eine „erstaunliche Übereinstimmung“ mit der wissenschaftlichen Theorie«.

Diese Passage ist übrigens vom christlichen Medienmagazin „Pro“ und nicht von irgendwelchen Atheisten, Wissenschaftlern oder solchen komischen Leuten, die Sie falsch darstellen könnten. Wir finden diese Einschätzung von Ihnen, es gäbe eine „erstaunliche Übereinstimmung“ zwischen Schöpungsmythos und der Evolutionstheorie sehr hochgeistig, weil wir auf so etwas nämlich gar nicht gekommen wären. Es haben auch nur ein paar von uns Philosophie studiert und deshalb entgehen uns viele tiefe Wahrheiten wie diese. Ich vermute, dass sie das ganz metaphorisch und ganz besonders bildhaft gemeint haben müssen, so dass es für den Normalsterblichen schon gar keinen Sinn mehr ergibt.

Betreff: Dodo des Monats Juli 2007

Sehr geehrte Frau Wolff,

Sie haben einen Vogel gewonnen. Es handelt sich um einen Taubenvogel der Gattung Raphus mit dem Namen „Dodo“. Dieses Tier möchten wir Ihnen gerne zusenden, stehen dabei aber leider vor dem Problem, dass es ausgestorben ist. Der Dodo lebte bis 1690 auf der Insel Mauritius. Affen, Schweine und Seefahrer fraßen seine Eier und auch den Vogel selbst auf, was ihm auf Dauer nicht gut bekam. Das größte Problem des Dodo bestand darin, dass er lange Zeit keine natürlichen Feinde hatte, wodurch er fett und flugunfähig wurde und nicht mehr in der Lage war, zu fliehen, oder sich zu verteidigen. Durch diese Umstände standen die Chancen nicht gut für den Dodo, so dass die natürliche Selektion sich dafür entschied, ihn nicht mehr zu selektieren. Das möchten wir aber auch nicht dogmatisch behaupten, schließlich hat die natürliche Selektion etwas mit der Evolutionstheorie zu tun und die hat etwas mit der Wissenschaft zu tun und an die glaubt heutzutage ja nicht mehr jeder. Es wäre insofern auch denkbar, dass die Dodos von Dämonen besessen waren, oder von Teufelchen, und sie daher unter dem Umstand litten, auf zu wenige ausgebildete Exorzisten zu treffen. Das ist aber nur eine mögliche Theorie, es könnte auch genug Teufelsaustreiber gegeben haben, die nur nicht auf Dodos spezialisiert waren. Vielleicht sind die Dodos auch niemals ausgestorben, weil sie nie gelebt haben und sind nur eine gewaltige Fälschung. Warum schließlich sollte Gott ein so derart unnützes Vieh erschaffen?

Damit Sie sich diesen Vogel dennoch vorstellen können, finden Sie am Ende meiner Ausführungen ein Bild von ihm, so wie ihn sich die Wissenschaft vorstellt, nur dass er nicht blau war, zumindest nicht die ganze Zeit über. Zunächst einmal wird Sie gewiss interessieren, warum Sie einen ausgestorbenen Vogel gewonnen haben, was ja an sich nicht normal ist, so alltäglich betrachtet. Also der Dodo hat etwas mit der Evolution zu tun, das habe ich ja schon erwähnt, und Sie haben ja nicht so viel mit der Evolution zu tun und da wollten wir Ihnen die Evolution einfach mal näher bringen, weil wir die nämlich irgendwo ganz gut finden, ästhetisch betrachtet. Es handelt sich nämlich um eine sehr elegante Erklärung der Entstehung des Lebens auf diesem Planeten und wahr ist sie auch noch. Aber was ist schon Wahrheit? Sie haben das schließlich viel besser erfasst als die Evolution, finde ich, und man merkt Ihnen das Philosophiestudium wirklich an:

„Wie Wolff der „F.A.Z.“ weiter sagte, sehe sie in der biologischen Evolution und der biblischen Erklärung für die Entstehung der Welt keinen Widerspruch, vielmehr gebe es in der symbolhaften Erzählung der Bibel von den sieben Schöpfungstagen eine „erstaunliche Übereinstimmung“ mit der wissenschaftlichen Theorie.“1

Diese Passage habe ich übrigens von dem christlichen Medienmagazin „Pro“ und nicht von irgendwelchen Atheisten, Wissenschaftlern oder solchen komischen Leuten, die Sie falsch darstellen könnten. Wir finden diese Einschätzung von Ihnen, es gäbe eine „erstaunliche Übereinstimmung“ zwischen Schöpungsmythos und der Evolutionstheorie sehr hochgeistig, weil wir auf so etwas nämlich gar nicht gekommen wären. Es haben auch nur ein paar von uns Philosophie studiert und deshalb entgehen uns viele tiefe Wahrheiten wie diese. Ich vermute, dass sie das ganz metaphorisch und ganz besonders bildhaft gemeint haben müssen, so dass es für den Normalsterblichen schon gar keinen Sinn mehr ergibt. Ich sage Ihnen trotzdem einmal, was man sich so als Normalsterblicher denkt, der sich für die Evolution interessiert, wenn man so etwas hört:

Schöpfungsmythen gibt es ja zwei in der Bibel, wie Sie wissen, weil Sie das ja studiert haben und die stehen ja auch in meiner Einheitsübersetzung drin, ganz am Anfang. In der ersten Geschichte wird der Mensch am sechsten Tag erschaffen und zwar als Gottes Abbild in den Versionen Mann und Frau. In der zweiten Geschichte erschafft Gott den Mann aus Ackerboden und bläst den Lebensatem in seine Nase. Das macht der, damit der Mensch Feldsträucher und Feldpflanzen anpflanzt und den Ackerboden bestellt, weil das ja schließlich jemand machen muss, sonst hat Gott das ganze Zeug umsonst erschaffen. Erst als der Mann schon lange auf seine Hilfe wartet, die ihm Gott versprochen hatte, erschafft ihm Gott dann die Frau aus seiner Rippe, was biotechnisch betrachtet schon mal gar nicht schlecht ist. Jetzt stehen wir aber vor einem Problem, weil wir nicht wissen, welche der Schöpfungsmythen denn nun so ähnlich sein soll wie die Evolutionstheorie. In der zitierten Passage reden Sie von der Version mit den sieben Tagen, also muss die wohl irgendwie wahrer sein als die andere und besser zu vergleichen.

Gut, dann vergleichen wir mal:

Schöpfungsmythos: Der christlich-judäische Gott erschafft das Leben in sechs Tagen durch seinen Willen.

Evolutionstheorie: „Das Leben resultiert aus dem nicht-zufälligen Überleben von zufällig variierenden Replikatoren.“2 (Richard Dawkins)

Ich muss etwas falsch machen, denn hier gibt es offenbar keinerlei Übereinstimmungen. Die Evolutionstheorie ist eine naturalistische Theorie, die ohne übernatürliche Wesenheiten auskommt. Der Schöpfungsmythos dagegen basiert auf dem Wirken einer übernatürlichen Entität. Wie schon gesagt: Sie müssen einen tieferen Einblick in die Realität haben als wir, wenn Sie das miteinander vereinbaren können.

Leider jedoch ist das nicht das Einzige, was bei uns für Verblüffung sorgt, wenn wir uns Ihre Bildungspolitik ansehen. Die Gesellschaft zur Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) hat eine Liste mit Vorkommnissen rund um „pädagogische Quacksalberei“ in Hessen veröffentlicht, „Quacksalberei“, die offenbar von Ihrem Ministerium gefördert wird3:

  • – Der Landkreis Darmstadt/Dieburg gab zum Schuljahresbeginn 2005/2006 einen Elternratgeber heraus, in dem Eltern bei Schulproblemen der Besuch von „Kinesiologen“ empfohlen wird (S.31).
  • – Das Staatliche Schulamt für den Lahn-Dill-Kreis und den Landkreis Limburg-Weilburg unterhält eine „Abteilung für Neurophysiologische Kindesentwicklung“ (ANKE). Die Leiterin dieser Abteilung wird als Expertin für „Reflexintegration, Motopädagogik und Edu-Kinestetik“ bezeichnet.
  • – Die Abteilung bietet „motopädagogische und edukinestetische“ Förderung für Kinder und Kurse für Eltern, Lehrkräfte und Mitglieder von Schulämtern an. Eine enge Zusammenarbeit besteht dabei nach eigenen Angaben mit dem HELP (ehem. Hessisches Landesinstitut für Pädagogik) und der Universität Gießen. Auch der schulpsychologische Dienst ist angeschlossen und propagiert (z.B. auf einer Tagung zur Gewaltprävention) Edu-Kinestetik.
  • – Die „Erfahrungen“ mit den von ANKE initiierten Aktivitäten wurden in einem Buch („Das bewegte Klassenzimmer“) im „Verlag für Angewandte Kinesiologie“, dem hauseigenen Verlag des „Instituts für Angewandte Kinesiologie“ (Freiburg i.Br.) veröffentlicht. Eine positive Rezension mit Lob für den „Vorstoß“ zur Edu-Kinestetik wurde vom leitenden Schulamtsdirektor des Schulamts veröffentlicht. Mitautor des Buches ist ein Medizinaldirektor i.R. des Landes Hessen.
  • – Das Hessische Kultusministerium unterhält ein Arbeitsfeld „Schule und Gesundheit“, in dem ein Modul „Bewegungsfördernde Schule“ enthalten ist. Dieses Modul stützt sich zu einem großen Teil auf die Arbeit von ANKE.
  • – Das Hessische Kultusministerium (HKM) betont die Vorbildfunktion, die das Schulamt Lahn-Dill/Limburg-Weilburg in Sachen Prävention durch sein Angebot an „differenzierten Wahrnehmungs- und Bewegungsangeboten“ habe und fördert die Aktivitäten ausdrücklich (siehe Kleine Anfrage im Hessischen Landtag des Abgeordneten Irmer vom 4.9.2003). Im Jahr 2006 veranstaltet das HKM eine Fachtagung „Schule und Gesundheit“, auf der Mitglieder von ANKE referieren. „Zentrales Anliegen“ der Tagung sei u.a., „wissenschaftliche Erkenntnisse (!) aus der Bildungs- und Gesundheitsforschung mit Erfahrungen aus der Praxis zusammenzuführen“.
  • – In einer Schrift zum „Hessischen Netzwerk Schule und Gesundheit“ wird im „Baustein Bewegung“ Motopädagogik, Edu-Kinestetik und Neurophysiologie als zentrale Komponenten der Gesundheitsförderung schon auf dem Deckblatt genannt.
  • – Zahllose Schulen nennen (bundesweit) Edu-Kinestetik/BrainGym als Baustein in ihrem Schulprogramm
  • – Zahllose Volkshochschulen bieten Edu-Kinestetik/Brain Gym an.
  • Die GWUP erläutert im zugehörigen Artikel, warum sie von den genannten Praktiken nichts hält:

  • – Die Edu-Kinestetik entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage: sie entstammt vielmehr religiös-magischen Vorstellungen;
  • – Der Versuch, diese Vorstellungen mit moderner Neurobiologie und Psychologie in Einklang zu bringen, ist gescheitert;
  • – Der als diagnostisches Mittel eingesetzte Muskeltest ist völlig ungeeignet;
  • – Die Wirksamkeit der Methode insgesamt ist nicht nachgewiesen.“

Auf der anderen Seite besteht die GWUP zum Großteil aus Wissenschaftlern, was ja dann auch wieder einseitig ist, schließlich gibt es nicht nur Chemie, Physik, Astronomie und Biologie, sondern auch Alchemie, Magie, Astrologie und den Schöpfungsmythos. Man muss alles von beiden Seiten betrachten. Dann wieder ist es jedoch so, dass es nicht nur den christlichen Schöpfungsmythos gibt, sondern auch zahlreiche weitere Schöpfungsmythen von anderen Religionen. Diese möchten Sie jedoch nicht im Biologieunterricht sehen, obwohl es für jene genau so wenige Belege gibt wie für den christlichen Schöpfungsmythos, nämlich gar keine. Das bedeutet, dass Sie über die einzigartige Fähigkeit verfügen müssen, eine „tiefere Wahrheit“ zu erkennen, was Religion betrifft. Über eine solche Fähigkeit verfügen ansonsten nur Propheten, die von Gott auserwählt werden, um eine solche Wahrheit zu verkünden.

Als Prophetin brauchen Sie natürlich keine Angst davor zu haben, allzu schnell an mangelnder Anpassung an die Umwelt auszusterben, deshalb müssen Sie auch gar keine Angst haben vor dem Vogel, den wir Ihnen verleihen. Der Dodo wird Sie davor schützen, die Fehler zu begehen, die er begangen hat. Jetzt wo Sie einen Vogel haben, kann Ihnen nichts mehr passieren.

Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Müller

im Auftrag von Brights Deutschland

11 Comments

  1. Was hat der Dodo mit den lateinisch sprechenden alten Römern gemeinsam?
    Ich übersetze A.M.s Aussage einmal anders:
    Zwischen „Ich zaubere mir ’ne Welt, zack der Mensch ist fertig, schau mal, ich hab Dir was zum Spielen mitgebracht“
    und
    „Evolution“
    gibt es keine Gemeinsamkeiten.
    Falls Du das doch glaubst, kannst Du diese Krankheit zur Not durch Lesen in Bibel und Biobuch bekämpfen.

    Dirk
    – Thank God I’m a Bright 🙂 –

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  2. „Der Laudator Andres Mueller scheint kein Ahnung davon zu haben, was Symbolik bedeutet“

    Oder er weiß so gut, was Symbolik bedeutet, dass er auch weiß, wann ein Text nicht symbolisch oder metaphorisch gemeint ist.

    Der Genesis-Text ist ein Plagiat älterer Schöpfungsmythen der Ägypter. Ich empfehle folgende Bücher zum Thema:

    Helms, Randel McGraw: The Bible Against Itself. Why the Bible Seems to Contradict Itself. Altadena 2006.

    Rohde, Norbert: Abschied von der Bibel. Vom alten Glauben zum neuen Wissen. Norderstedt 2004.

    Albert, Hans: Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng. Aschaffenburg 2005.

    Buggle, Franz: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Aschaffenburg 2004.

    Deschner Karlheinz: Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte. München 1996.

    Doherty, Earl: Das Jesus-Puzzle. Basiert das Christentum auf einer Legende? Neustadt am Rübenberge 2003.

    Sobald Sie etwas außer Ad Hominem und Non Sequitur zu bieten haben, können wir weiterreden.

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  3. naja. ich finde edukinestetik jedenfalls wünschenswerter für kids als ritalin mit wissenschaftlichem wirksamkeitsnachweis und am besten fände ich freie demokratische schulen.

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  4. Der Laudator Andres Mueller scheint kein Ahnung davon zu haben, was Symbolik bedeutet. Die Bibel informiert nicht ueber vor- oder wissenschaftliche Fakten, sondern deutet mit Hilfe von Symbolen, Gleichnissen, Maerchen und allen anderen Kommunikationsformen – darunter koennen auch einmal mehr oder weniger zufaellig richtige historische Angaben sein – was es fuer den Menschen bedeutet, mit und unter der irdischen Faktizitaet zu leben.

    Ein Beispiel: Die sogenannte Paradiesesgeschichte Gen. 1.2 bedient sich der Form eines Maerchens und erinnert den Menschen daran, dass er Materie ist. Wenn wir einmal von den Wuermern gefressen sein werden, bleibt von uns nur deren Kot als feiner Humus uebrig. Man wird es dem biblischen Schriftsteller des 11. vorchtistlichen Jahrhunderts verzeihen, dass er den Begriff Humus noch nicht kannte.
    Aber dass er den Menschen von seinem hohen Ross geistiger Besonderheit, die er sich durch unsterbliche Seele und Teilhabe an der uebernatuerlichen Sphaere goettlicher Phantasiepersonen anmasst, herunterholt, finde ich ganz verdienstlich.

    Kurzum: Frau Wolffs Aussage ist goldrichtig. Kritiker sollten aber ihr Handwerk beherrschen. Und das aufmerksame Studieren der zu kritisierenden Aussage ist dabei unerlaesslich.

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  5. Ja, von mir auch einen herzlichen Glückwunsch an Frau Wolff, das schafft sicherlich nicht jeder so eindeutig.

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