Die Kopernikanische Wende


…und das Gottesbild der Neuzeit

von Wolfgang Baudisch

Kopernikus

Seit der Kopernikanische Wende gibt es, zumindest im Abendland, kein gemeinsames Weltbild, das sowohl die „exakten Wissenschaften“, als auch die Geisteswissenschaften, insbesondere die Theologie enthalten würde. Die tiefe Kluft zwischen der Überlieferung des Glaubens und den Erkenntnissen unvoreingenommenen, ja frechdreisten Forschungsstrebens ist mit der Verdammung Giordano Brunos und Galileo Galileis durch die Inquisition der Katholischen Kirche entstanden und hat sich bis heute eher noch verschärft als zu verschwinden.

Peter Sloterdijk beschreibt in einer Vortragsreihe in Hamburg die Wandlung des Weltbildes und ihre Auswirkung auf das Geborgenheitsempfinden und die Wandlung der Welt zu einem „Glashaus“ im All so:

 

 

„Die so genannte „Kopernikanische Wende“ war der Anfang der „Ent-Täuschungsgeschichte“ des Menschen.“

Er freue sich, dass die fünfteilige Reihe „Mensch, Kosmos, Transzendenz“ im Hamburger Planetarium die fast vergessene Perspektive der Kosmologie wieder in den Blick genommen habe.

„Allerdings ändert dies nichts an dem Unbehagen angesichts einer „kalten Unendlichkeit des Kosmos“ samt seiner „nihilistischen Gravitation“. Der Mensch ist ausgebürgert ins Sinnlose, konfrontiert mit den Kälteeinbrüchen naturwissenschaftlich-technischer Eiswelten in die menschliche Binnensphäre. Der Preis der Aufklärung ist die Vertreibung aus einem Paradies gewesen, allerdings aus einem illusionären. Das alte aristotelische Weltbild mit Erde und Mensch als Mittelpunkt war nur „ein vermeintlich privilegiertes“. Das Beste, das Gute, das Schöne habe damals am oberen Rand der Kugel-Sphären gelegen – die Erde dagegen war in dieser Vorstellung stets der Hölle nahe. Der Mensch hat das Dach des eigenen Hauses abgerissen und findet sich vor in einem „Weltglashaus“, dessen Himmel immer leerer werde. Doch dieses „kalte Firmament“ erschüttert vor allem die Gutgläubigen, die Geistreichen und Überreizten. Die meisten Menschen werden sich nicht daran erkälten: Sie schaffen sich ihre eigenen häuslichen Immunsysteme wie Versicherungspolicen, die Klimatechnik oder eine elektronische Medienhaut. Alle modernen Weltbilder sind „aus dem göttlichen Rahmen gefallen“. Immer wichtiger wird daher die „Erkundigungen nach dem Wo“, nach neuen Raumschöpfungen für das „ekstatische Wesen Mensch“. Der Sinn des Verlustes jeder kosmischen Peripherie liegt darin, neue technisch soziale Ersatzkonstruktionen zu erfinden: „Die Theologen gehen, und die Designer kommen“.

 

 

Jede Zeit formt ihre eigene Gottesvorstellung auf Grund ihres vom Erleben und der Wissenschaft geformten Weltbilds. Es ist nicht so, dass eine primäre Gottesvorstellung oder gar eine Offenbarung Gottes die Grundlage für die Erfahrung der Welt wäre, sondern erst die Erfahrung der Welt führt in jeder Kultur zu einer speziellen, nur für diese Welterfahrung zutreffenden Gottesvorstellung.

 

 

Das Gottesbild ergibt sich aus der Transzendenz des Weltbilds. Gott ist das Unfassbare, das über die bekannte Welt hinausreicht. Wenn sich das Weltbild eines Naturvolkes auf die unmittelbare Umwelt und die eigene Sippe beschränkt, so besteht die Gottesvorstellung aus den Geistern der Verstorbenen und den mächtigen Naturgewalten oder Raubtieren. Umfasst das Weltbild nur den eigenen Staat, z. B. im alten Ägypten, so ist Gott der regierende Herrscher, der Pharao. Das kann sogar noch heute in Monarchien oder Diktaturen vorkommen. Das geozentrische Weltbild der Antike und des Mittelalters hat auch zu einem geozentrischen Gottesbild geführt. Der Gott des Mittelalters war ein persönlicher, in erster Linie am Wohlergehen des Menschen interessierter Gott, der nicht für außerirdische Welten zuständig war. Gott war auf das Innigste mit der Menschheit verbunden, ja er hat sogar in Jesus Christus menschliche Gestalt angenommen.

 

 

Um 1600 begann dieses geozentrische Weltbild zu zerfallen. Giordano Bruno hat bereits 1584 ein revolutionäres neues Weltbild als Hypothese postuliert. In seiner Schrift „De l’Infinito, Universo e Mondi“ erklärte er die Sterne damit, dass sie wie unsere Sonne seien, dass das Universum unendlich sei, es eine unendliche Anzahl von Welten gebe und diese mit einer unendlichen Anzahl intelligenter Lebewesen bevölkert seien. Dieses Weltbild und der in Widerspruch zur Kirchenlehre stehende Pantheismus beruhte damals zum Teil auf naturwissenschaftlichen Forschungen, insbesondere dem Werk „De Revolutionibus Orbium Coelestium“, das von Nikolaus Kopernikus geschrieben und erst 1543 in Nürnberg gedruckt worden war, das zu den Meilensteinen der Astronomiestronomie in der Neuzeit gehört, und zum Teil auf rein philosophischen Überlegungen. Heute spricht man von der „Kopernikanischen Wende“ als dem Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild.

 

 

Eine fundamentale Rolle spielte dabei Galileo Galilei, der dieses neue Weltbild zwar nicht erfunden hatte, es aber als erster in der Form eines populär-wissenschaftlichen Dialogs einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen wollte. Der Bann seiner Lehren durch die katholische Kirche war aber gerade nicht, wie man heute vielfach glaubt, ein Irrtum der Theologen, für den sie sich nachträglich entschuldigen müssten, sondern die einzig richtige und logische Konsequenz, denn eine naturwissenschaftliche Revolution dieser Art hätte nicht nur die Naturwissenschaft, sondern das überlieferte Gottesbild in Frage gestellt und so eine theologische Revolution von ungeahntem Ausmaß bewirkt. Vom Standpunkt der Theologie war es daher richtig, mit allen Mitteln gegen das neue heliozentrische Weltbild vorzugehen und zugleich am bisherigen Gottesbild fest zuhalten. Der naturwissenschaftliche Umbau des Weltbilds führte aber mit Charles Darwin und Albert Einstein schließlich zu unserem Bild eines relativistischen und evolutionären Universums, in dem die Erde nur noch ein Nichts am Rande eines unendlich großen expandierenden Universums und der Mensch nur noch eine zufällig in Jahrmillionen entstandene Lebensform unter unendlich vielen möglichen außerirdischen Lebensformen ist, und nicht mehr als ihr Endziel im Zentrum der Schöpfung steht.

 

 

Die Theologie hat diese Geistesentwicklung nicht mitgeprägt, sondern es verabsäumt, das Gottesbild an die neuen Erkenntnisse anzupassen. Vielmehr hat sie versucht, mit einer endgültigen Trennung von Theologie und Wissenschaft das Lehrgebäude der Theologie unbeschädigt und weil es a priori den Anspruch auf ewige Gültigkeit erhebt, weit gehend unverändert seit dem frühen Mittelalter zu erhalten.

 

 

Das Weltbild war bis ins 17. Jahrhundert, abgesehen von einzelnen abweichenden Hypothesen und Vermutungen, das geozentrische Kugelschalenmodell von Ptolemäus mit der Erde als Zentrum, die von 8 Sphären umgeben ist, auf deren äußerster sich alle Fixsterne befinden und sich darüber der Himmel als der Ort Gottes, der Engel und Heiligen ausdehnt. Heute ist unser Weltbild nicht endgültig und unveränderlich, es ist in einem Zustand ständiger Erforschung und Neugestaltung. Demnach gibt es kein Zentrum des Universums. Es gibt mehr als hundert Milliarden Galaxien, von denen jede etwa hundert Milliarden Fixsterne und ein schwarzes Loch im Zentrum enthalten. Die Sonne ist nur ein Fixstern am Rand der Milchstraßengalaxis und sie wird in ferner Zukunft ihre Leuchtkraft verlieren, zum roten Riesen mutieren und alle Planeten mit allen Lebewesen vernichten. Die Größe des Universums ist nach wie vor unbekannt, denn der vierdimensionale Raum expandiert kontinuierlich, und es ist noch nicht geklärt, ob dieser Raum flach, positiv oder negativ gekrümmt ist, woraus sich wiederum eine Aussage über die mögliche Größe ergeben würde. Auf alle Fälle ist es unendlich viel größer als jede Größenvorstellung zur Zeit des geozentrischen Weltbilds. Darüber hinaus weiß man, dass es wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit dem Menschen niemals möglich sein wird, das gesamte Universum zu beobachten, weil sich die am weitesten entfernten Objekte mit höherer Geschwindigkeit entfernen als das Licht.

 

 

Eine so revolutionäre Wandlung des astronomischen Weltbildes müsste eigentlich eine noch stärkere Revolution des Gottesbildes bewirkt haben. Die Frage, die sich auf Grund des heutigen Weltbildes ergibt, ist nicht ob Gott existiert oder nicht – dies lässt sich auch mit modernster Wissenschaft nicht beantworden – sondern, wenn man denn seine Existenz als Hypothese voraussetzt und zugleich das wissenschaftliche Weltbild als heute gültigen Erkenntnis-Konsens annimmt:

 

 

Wie müssen wir uns Gott heute vorstellen, oder besser, wie können wir ihn uns heute nicht mehr vorstellen, also die Frage nach einem neuen Gottesbild in unserer Zeit.

 

 

Das Ziel dieses Fragens wäre die Wiedergewinnung eines einheitlichen, alle Disziplinen, also Wissenschaft und Theologie umfassendes und in sich widerspruchsfreien Weltbildes. Wie müsste ein Gottesbild aussehen, das dem heutigen naturwissenschaftlichen Weltbild entspricht? Dieses Weltbild findet seine Grenzen in der unermesslich großen Ausdehnung und Lebensdauer des Universums. Erst dort, wo das sichtbare Universum endet, beginnt Gott.

 

 

Einen ersten Vorschlag für die Lösung dieser Frage möchte ich auf meinem Blog vorstellen unter:

http://wolfgang66.wordpress.com/

 

11 Comments

  1. Das hat mit der allgemeinen Relativität zu tun.

    In der speziellen Relativitätstheorie (SRT) geht man von unbewegten oder konstantbewegeten Inertialsystemen und Beobachtern (als Spezialfall der ART) aus.
    In der ART werden auch die Fälle betrachtet in der der Beobachter oder das Inertialsystem eine Beschleunigung (etwa durch Gravitation) erfahren.

    Die genauen Formeln und Hintergründe kenne ich nicht, aber durch solche Effekte die damit in Verbindung stehen, wirkt es für den Beobachter zuweilen, als ob sich Dinge mit v>c bewegen.

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  2. also ich muss zugeben, dass ich den artikel nur überflogen habe, weil ich grade echt keine zeit habe ihn zu lesen. (schreibe gerade eine arbeit über die geschichte der astronomie, deshalb bin ich bei meinen nachforschungen auf deinen artikel gestoßen…)

    mich hat nur ein satz stutzig gemacht… ich will ja jetzt nicht sagen dass ich mich da gut auskenne u so, aber der satz „weil sich die am weitesten entfernten Objekte mit höherer Geschwindigkeit entfernen als das Licht.“ ?? mit HÖHERER geschwindigkeit als das licht? ich dachte immer das geht gar nicht !?

    könnte mich da jemand mal aufklären, wia das gemeint ist?
    danke, sxlext

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  3. Wittgenstein war das richtige Stichwort. Wer meint, eine Antwort zu haben auf die Frage: „Wo beginnt Gott“, vergisst, einen Punkt zu machen. Nämlich hinter den Satz: „Ich weiß es nicht!“. Wer ein Komma macht, um dann fortzufahren „, aber ich glaube, vermute, spekuliere usw.“ verlässt die wissenschaftliche Ebene und begibt sich in die sattsam bekannten „Höheren Sphären“, in denen alles möglich und nichts unmöglich ist.
    „Gott“als bequeme Metapher für „das Unbekannte“ zu nehmen, ist nicht hilfreich, wenn man beachtet, welcher Missbrauch mit diesem Begriff getrieben wurde und wird.

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  4. Nickpol,
    Ich würde trotzdem gern verstehen, was Du gemeint hast. So kann ich nur raten:
    vielleicht meinst Du, dass sich der Begriff „Gott“ überhaupt nicht exakt definieren läßt…?

    Im Sinn von Ludwig Wittgenstein Tractatus hättest Du zwar recht, aber nicht im Sinn der Konsenstheorie der Erkenntnis. Es gibt werder eine „objektive“ Wahrheit, noch „exakte“ Wissenschaften. Also kommt es nur darauf an, was der allgemeine Konsens über einen solchen Begriff ist.

    Falls ich Dich aber damit noch immer nicht richtig verstanden hätte, wäre ich Dir für eine Erläuterung dankbar, da ich Deine Beiträge sehr hoch bewerte.

    mfg
    Wolfgang66

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  5. Nickpol,
    kann man denn beweisen, dass Gott nicht existiert?

    Ich habe die Frage nach der Existenz Gottes bewusst ausgeklammert, weil sie sich m. E. überhaupt nicht beantworten läßt. Somit ergibt sich für mich als nächstes die Frage: wie wäre Gott, wenn er denn existieren würde (hypothetisch). Und allein diese Frage wird von mir – wie ich glaube – erschöpfend, oder zumindest logisch konsequent und unter Einbeziehung der „exakten“ Wissenschaft beantwortet.

    Ich empfehle Dir daher, den gesamten Artikel zu lesen.

    Der Osterhase mag zwar auch ein interessantes Studien-Objekt sein, aber die Geschichte der Menschheit zeigt, dass Gott seit Jahrtausenden etwas interessanter zu sein scheint als der Osterhase oder der Weihnachtsmann 😉

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  6. ehrlich Wolfgang, ich muss mir von etwas, dass es geben soll, aber niemals bewiesen werden kann, keine Vorstellung machen. Setz mal bitte anstelle Gottes den Osterhasen ein.

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  7. »Wiewohl in vieler Hinsicht diese sichtbare Welt ein Werk der Liebe scheint — die unsichtbaren Sphären sind ein Werk des Schreckens.«
    Herman Melville, »Moby Dick«.

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  8. „Erst dort, wo das sichtbare Universum endet, beginnt Gott.“

    Was für ein dummer Satz.
    Wo das für uns sichtbare Teil des Universums endet, beginnt schlicht der für uns unsichtbare Teil des Universums.

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