Wittgenstein und die Gewissheit


Thorsten Jantschek | philosophie Magazin

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Atomkraft, nein danke! Nie wieder Krieg in Europa! Stoppt den Klimawandel! Was bis vor einigen Jahren als vermeintliche Gewissheit galt, ist heute längst wieder verhandelbar geworden. Man kann etwa auf die Idee kommen, dass angesichts der Gaskrise Atomenergie eine passable Brückentechnologie ist. Oder dass Waffenlieferungen in die Ukraine alternativlos sind. Und die Klimakleber genau das Richtige tun. Und man kann das Gegenteil von alledem für richtig halten.

Sicher ist offenbar nur, dass der epistemische Status der Gegenwart wackelig ist. Und die Auseinandersetzungen um deren Deutung ruppig sind. „Wo sich wirklich zwei Prinzipien treffen, die sich nicht miteinander aussöhnen, da erklärt jeder den andern für einen Narren und Ketzer.“ Was sich wie ein Kommentar zu Streitigkeiten in sozialen Netzwerken oder Talkshows liest, hatte Ludwig Wittgenstein allerdings schon 1951 in Über Gewissheit notiert, entstanden kurz vor dem Tod des Philosophen. Wittgenstein hatte sich ins Haus seines Cambridger Arztes zurückgezogen. Ihm war klar, dass er an Krebs sterben würde. Dennoch arbeitete er sich mit großer Energie erneut an Grundfragen der Erkenntnistheorie ab.