Sechsmal mehr Eisverlust: Dieser Meeresspiegelanstieg ist realistisch


Gleich zwei neue Studien lassen befürchten: Grönlands Kipp-Punkt ist überschritten. Das würde bedeuten: Der Meeresspiegel steigt um mindestens sieben Meter. Bisher kaum Anstrengungen, dies zu begrenzen.

Nick Reimer | TELEPOLIS

Der Abschmelzprozess wurde bisher wohl auch in Worstcase-Szenarien unterschätzt. Foto: Christine Zenino / CC-BY-2.0

Besonders betroffen sind demnach jene Stellen, wo der Schnee geschmolzen ist und der dunklere Gletscher darunter freigelegt wurde: Ein Forscherteam des Geologischen Dienstes Dänemarks und Grönlands (GEUS) hat untersucht, wie stabil der Grönländische Eispanzer noch ist.

Mit dem erschreckenden Ergebnis, dass der Eisschild bereits aus dem Gleichgewicht geraten ist: Selbst wenn wir sofort alle Emissionen weltweit stoppen würden – 110.000 Kubikkilometer Eis tauen unwiederbringlich ab und heben den Meeresspiegel um mindestens 27 Zentimeter an.

Folgt man den GEUS Forschern, ist das die gute Nachricht, obgleich brisant, denn der grönländische Eisschild ist eines jener Kippelemente im Weltklimasystem, die – einmal angeschoben – nie wieder gestoppt werden können. In den Spitzen ist der Eispanzer 3.300 Meter hoch, wenn er anfängt zu tauen, fällt die Oberfläche nach unten in immer wärmere Schichten. Die schlechte Nachricht ist: Bei 27 Zentimetern wird’s nicht bleiben.

Der Sommer 2012 war besonders warm auf Grönland. Meteorologen gehen davon aus, dass sich durch die Klimaerhitzung solche Sommer häufen. werden. Die GEUS-Forscher haben auch einen solchen Sommer als Maßstab für die Entwicklung genommen: Bis Ende des Jahrhunderts würden zehn Prozent der grönländischen Eisfläche unumkehrbar verloren gehen, der Meeresspiegel um mindestens 78 Zentimeter steigen.

Küstenstädten droht Aus

Städte wie New York mit mehr als tausend Kilometer Küstenlänge sind dagegen genau so wenig zu verteidigen wie Bangkok, Alexandria, Basra oder Djakarta. Taut das gesamte Gletschereis auf Grönland ab, steigt der Meeresspiegel um mindestens sieben Meter an. Nicht nur das: Andere Kippelemente werden ausgelöst, ein Zusammenbruch des Golfstromes etwa, jener Meeresströmung, die Wärme aus der Karibik nach Europa transportiert.

„Das Neue an der Studie: Die Kollegen haben nicht mit Klimamodellen in die Zukunft geschaut, sondern nachgemessen, was sich in den letzten zehn Jahren auf Grönland abgespielt hat“, sagt Olaf Eisen, Professor für Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut AWI. Im jüngsten Sachstandsbericht war der Weltklimarat IPCC im „Worstcase-Szenario“ noch davon ausgegangen, dass der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts mindestens 62 Zentimeter gegenüber dem Stand von 2014 steigen wird. Jetzt könnten es allein 78 Zentimeter durch die Grönlandschmelze sein.

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