Die Zwischenform Tiktaalik roseae


und die Kritik der Evolutionsgegner von Martin Neukamm

Über die Entstehung der Vierbeiner – Zeugen eines berühmten Übergangs

Die Entstehung der Tetrapoden (Vierbeiner) kennzeichnet den Übergang von der aquatischen Lebensweise zu einem Leben an Land und markiert somit ein Schlüsselereignis in der Evolution der Organismen. Anhand fossil erhaltener Raubfische (z.B. Eusthenopteron und Panderichthys) lässt sich die Entstehung der Tetrapoden modellhaft rekonstruieren; die Vierbeiner lassen sich demnach aus urtümlichen Fleischflossern (Sarcopterygiern) ableiten (Kutschera 2006; s. Abb. 1). Dieser Abschnitt der stammesgeschichtlichen Entwicklung ging mit einer Reihe von Umwandlungen einher, wie z.B. der Umstrukturierung des Schädels, des Schultergürtels und der Region, aus der sich später das Mittelohr bildete. Gleichzeitig entstanden aus den Fischflossen robuste Extremitäten, die eine Gliederung in Oberarm, Elle und Speiche des Unterarms, Handwurzel und Finger zeigen. Bislang wurde die Entstehung der Tetrapodenmerkmale allerdings nur spärlich durch den Fossilienbefund veranschaulicht. So weisen die Fische Eusthenopteron und Panderichthys noch relativ wenig Tetrapodenmerkmale auf, während sich die primitiven Tetrapoden Acanthostega und Ichthyostega morphologisch bereits mehr oder weniger deutlich von ihnen unterscheiden. Nun berichtet die Wissenschaftszeitschrift Nature (440, 747-749; 757-771, 2006) gleich in drei Artikeln über eine spektakuläre Neuentdeckung: den Raubfisch Tiktaalik roseae.

Die Bedeutung von Tiktaalik als Zwischenform und Modellsystem der Evolutionsbiologie

Tiktaalik roseae verkörpert eine Zwischenform, die genau in diese morphologische Lücke fällt: Der Fisch mit dem krokodilähnlichen Schädel steht aufgrund seines einzigartigen Merkmalsmosaiks im phylogenetischen System zwischen den Raubfischen Panderichthys und den ältesten Tetrapoden Acanthostega und Ichthyostega (Ahlberg und Clack 2006, S. 748; s. Abb. 2). Überreste mehrerer Exemplare wurden aus dem Schlick eines eingetrockneten Flussbetts auf der kanadischen Insel Ellesmere im Nunavut-Territorium, etwa 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt, geborgen. Zu ihren Entdeckern gehören u.a. Edward Daeschler von der Academy of Natural Sciences (Philadelphia), Neil Shubin von der Universität Chicago (Illinois) und Farish Jenkins von der Harvard Universität in Cambridge (Massachusetts). Das Tier lebte im Ober-Devon vor ungefähr 380 Millionen Jahren und verfügt über Flossen, die den Beginn der Entstehung der Gliedmaßen dokumentieren. So besitzt die Extremität Oberarmknochen, Elle, Speiche und Handwurzelknochen, weist aber noch keine eindeutigen Finger auf (Daeschler et al. 2006; Shubin et al. 2006). Zudem zeigt das verkürzte Schädeldach, das Fehlen von Kiemendeckeln, die Schultergürtel und viele andere Merkmale Anklänge an die Tetrapoden, während andere Merkmale, wie die Flossenstrahlen, „fischartig“ geblieben sind.

 

 

Abb. 1: Die Eroberung des Landes durch Urtetrapoden im Devon vor etwa 380 bis 350 Mio. Jahren. Der Übergang von der aquatischen Lebensweise zu einem Leben an Land lässt sich modellhaft durch drei gut erhaltene Fossilien veranschaulichen: Aquatischer Fleischflosser Holoptychius (A). Der tetrapodenähnliche Fisch Eusthenopteron hatte bereits kurze Arm- und Beinknochen (B). Der Urtetrapode Ichthyostega mit rekonstruiertem Skelett (C). In die morphologische Lücke zwischen (B) und (C) fallen die nicht dargestellten Mosaikformen Panderichthys, Elpistostege, Tiktaalik und Acanthostega. (Nach Kutschera 2006, S. 100).

 

Tiktaalik passt nicht nur aufgrund seines Körperbaus sehr gut in das zu erwartende Übergangsfeld zwischen den Devonischen Raubfischen und primitiven Vierbeinern. Auch stratigraphisch fällt Tiktaalik exakt in die evolutionstheoretisch vorhergesagte Formation des untersten Ober-Devon (Ahlberg und Clack 2006, S. 748). Tiktaalik ist damit etwa 3 Mio. Jahre jünger als Panderichthys und ungefähr 20 Mio. Jahre älter als die auf 365 Mio. Jahre datierten Überreste der Urtetrapoden Acanthostega und Ichthyostega. Durch Tiktaalik wird nicht nur die Vorhersagekraft der Evolutionstheorie in Bezug auf die Existenz von Zwischenformen erneut bestätigt, sondern auch die Deszendenztheorie als wesentliches Teilstück der Evolutionstheorie massiv gestützt: Von den ältesten Fossilschichten aus betrachtet nähern sich die Lebewesen in stufenweiser Abänderung den heutigen Formen. Tiktaalik wird daher von den Paläontologen als „true missing link“ eingestuft, welches modellhaft viele der bislang unbekannt gebliebenen Details bei der Entstehung der Tetrapoden zu rekonstruieren erlaubt (Dalton 2006).

 

 

Abb. 2: Die phylogenetische Analyse von 114 Merkmalen und neun Sarcopterygier-Gruppen liefert folgendes Kladogramm als plausibelste Verwandtschaftshypothese („consensus tree„). Demnach verkörpert Tiktaalik die nächstverwandte Gruppe (Schwestergruppe) von Acanthostega und Ichthyostega (Tetrapoden) und teilt diese Position mit Elpistostege. Tiktaalik verkörpert insofern ein „connecting link“, als das Fossil neben Panderichthys und Acanthostega als paraphyletische Gruppe zu den Tetrapoden angeordnet ist und somit modellhaft die Abfolge der Entwicklung von Tetrapodenmerkmalen zu rekonstruieren erlaubt. (Nach Daeschler et al. 2006, S. 761 f.).

 

Die Kritik der Evolutionsgegner am Status von Tiktaalik als „Übergangsform“

Auf der kreationistischen Homepage Genesisnet erschien kürzlich eine interessante Stellungnahme von Reinhard Junker, der zunächst anerkennt, dass „Tiktaalik … ein Merkmalsmosaik [besitzt], das gut in einen Übergangsbereich zwischen Fischen und Vierbeinern passt – hier geht ein Punkt an die Evolutionstheorie“ (Junker 2006). Dieses Zugeständnis ist im Grundsatz erfreulich, da es sich wohltuend von der „Schwarz-Weiß-Argumentation“ anderer Evolutionsgegner im deutschen Sprachraum abhebt und sich durch etwas mehr Fairness in der Auseinandersetzung auszeichnet. Gleichwohl erhebt Junker einige Einwände gegen die evolutionstheoretische Interpretation von Tiktaalik, die im Folgenden kritisch hinterfragt werden sollen. (Weitere Aspekte zum Thema „Übergangsformen“ finden sich in Neukamm und Kutschera 2006).

Junker schreibt: „Dass Merkmale von Tiktaalik besonders hervorgehoben werden, die als ‚Übergangsmerkmale‘ gedeutet werden können, ist legitim. Dennoch zeigt die Brustflosse insgesamt doch eher einen fischartigen Charakter (Ahlberg & Clack 2006, 748). Ein Vergleich mit anderen Formen aus dem Übergangsbereich Fische – Vierbeiner macht dies deutlich.

Was mit dieser Aussage erreicht werden soll, bleibt unklar, denn die Frage, ob die Brustflosse von Tiktaalik eher tetrapodenartig oder „insgesamt doch eher fischartig“ war, ist in diesem Kontext irrelevant. Aus evolutionärer Perspektive ist nur wichtig, dass die Brustflossen von Tiktaalik in morphologischer Hinsicht zwischen denen devonischer Raubfische (wie Panderichthys) und den Extremitäten primitiver Tetrapoden (wie Ichthyostega) stehen. Dies wird in den Beiträgen in Nature in diversen Abbildungen ersichtlich (s. vor allem Shubin et al. 2006, S. 768). Ahlberg und Clack (2006, S. 748) bemerken hierzu: „Panderichthys showed us a morphology that could be interpreted as directly intermediate between osteolepiform and tetrapod. But only the similar yet ‚upgraded‘ morphology in Tiktaalik demonstrates that this interpretation is correct: this really is what our ancestors looked like when they began to leave the water.

Junker bemerkt ferner unter Bezugnahme auf Pennisi: „Pennisi (2006) stellt in ihrem Kommentar in Science fest, dass die bislang bekannten Fossilien entweder vornehmlich fischartig oder tetrapodenartig waren statt wirklich intermediär zu sein. Offenbar erlaubt erst die verbesserte Datenlage, den bisherigen Stand des Wissens weniger geschönt darzustellen.

Auch wenn dieser Kommentar von einer Evolutionsbiologin stammt, ist hier anzumerken, dass die Forderung nach „intermediären Fossilien“ zwischen der Gruppe der Fleischflosser und den Tetrapoden aus kladistischer Perspektive problematisch (um nicht zu sagen sinnlos) ist, da ja die Tetrapoden selbst zu den Fleischflossern (Sarcopterygiern) zählen, so dass ein Übergang zwischen beiden Gruppen keinesfalls in der phylogenetischen Systematik stattfinden kann (Neukamm und Kutschera 2006). Mit anderen Worten: Die „Fische“ bilden keine einheitliche Abstammungsgruppe, sondern repräsentieren eine willkürliche Versammlung unterschiedlichster Neognathostomaten-Gruppen. Es gibt somit im Kladogramm keine einheitliche Großgruppe der Fische, die kontinuierlich durch intermediäre Formen überbrückt werden könnte, sondern nur feinverästelte Verzweigungen (s. Abb. 2). Da die Tetrapoden (z.B. repräsentiert durch Ichthyostega) einfach nur eine weitere Gruppe innerhalb der Gruppe der Fleischflosser bilden, besitzen die Fossilien zwangsläufig ein Mosaik aus Merkmalen, die man als „eher fischartig“ oder als „tetrapodenartig“ bezeichnen könnte.

Die Aussage, wonach die bekannten Fossilien nicht „intermediär“ seien, lässt darauf schließen, dass Junker aus evolutionärer Sicht geradezu eine langsame, kontinuierliche Veränderung der einzelnen Merkmale erwartet. Eine so „gedachte“ Evolution kann es aber aus heutiger Sicht gar nicht geben, denn es ist ja schon zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Epigenotypus sowie aufgrund von Artspaltung immer nur eine diskontinuierliche und stellenweise inkongruente Veränderung der Merkmale möglich (Mahner 1986; Futuyma 1990; Neukamm und Kutschera 2006). Tiktaalik kann (wie jedes connecting link in diesem Abschnitt der phylogenetischen Entwicklung) immer nur ursprüngliche („fischartige„) sowie abgeleitete („tetrapodenartige„) Merkmale nebeneinander aufweisen.

Weiter Junker: „Daeschler et al. (2006, 757) [meinen], dass … der Ursprung der wichtigen Tetrapodenmerkmale jedoch in Dunkeln verblieben sei.

Diese Aussage ist sicher richtig, ein tragfähiges Argument gegen Evolution folgt hieraus aber nicht, wenn man bedenkt, dass Tiktaalik erstmals wichtige Details der Entstehung von Tetrapodenmerkmale modellhaft zu rekonstruieren erlaubt, die bislang als ungeklärt galten.

Interessanterweise wurde in Junker und Scherer (1998, S. 217) zur Evolution der Tetrapoden noch angemerkt, die „Homologisierung zwischen der viergliedrigen Tetrapodenextremität und Flossenknochen von Fischen“ sei aufgrund des Fehlens geeigneter Übergangsformen „ungeklärt„. Die Autoren betonen, die Urtetrapoden seien somit nicht von tetrapodenähnlichen Fischen ableitbar. Mit Tiktaalik, dessen Brustflossen deutliche Anklänge an der Tetrapodenextremitäten zeigen, zugleich aber noch „fischähnliche“ Züge tragen, ändert sich die Datensituation grundlegend, so dass die Aussage von Junker und Scherer heute nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Denn wie Abb. 3 zeigt, sind die Brustflossen von Tiktaalik in Bezug auf ihre Gliederung (Oberarmknochen, Elle, Speiche und Handwurzelknochen) in vielen Einzelmerkmalen eindeutig mit den Tetrapoden-Extremitäten homologisierbar. (Ob es sich dabei tatsächlich um eine Homologie oder eher um eine Homoplasie handelt, ist in Bezug auf die Anwendbarkeit der Homologie-Kriterien zunächst einmal zweitrangig).

Damit erhebt sich die Frage, wie viele Zwischenformen eigentlich noch gefunden werden müssen, damit sie auch die Evolutionsgegner als hinreichenden Beleg zugunsten der Deszendenztheorie anerkennen. Angesichts der Tatsache, dass Junker selbst einräumt, mit dem Fund sei die morphologische Lücke verkleinert worden (ein Eingeständnis, das im Grunde jede Lückenbüßerargumentation ad absurdum führt), muss man sich darüber wundern, warum dann doch wieder nach demselben Argumentationsmuster verfahren wird, das Mahner (1986) wie folgt beschreibt: „Präsentiert man eine Zwischenform, so wollen die Kreationisten zwischen dieser und der Ahnenform eine weitere Zwischenform und so fort„.

Wie oben erwähnt wurde, muss man Junker zugute halten, dass er einräumt, das Merkmalsmosaik von Tiktaalik passe gut in einen Übergangsbereich zwischen Fischen und Vierbeinern. Gleichwohl wird das Zugeständnis sofort wieder durch Aussagen wie etwa die folgenden relativiert: „Die Unterschiede zwischen Tiktaalik und gefingerten Gattungen wie Acanthostega sind erheblich … Ahlberg & Clack (2006, 748) weisen darauf hin, dass der Erwerb von Fingern, von Tiktaalik ausgehend, eine erhebliche Umorganisation (‚developmental repatterning‘) erfordern würde. Der achtfingrige oberdevonische Tetrapode Acanthostega … war höchstwahrscheinlich ausschließlich wasserlebend; seine Extremitäten waren relativ unbeweglich. Insgesamt eignet sich diese Gattung daher nicht als vermittelnde Form zwischen Tiktaalik und landlebenden Tetrapoden.

„Daher“? Diese Aussage könnte den Eindruck erwecken, als würde Junker hier eine Schlussfolgerung von Ahlberg und Clack wiedergeben. Die Spezialisten für frühe Tetrapoden gelangen jedoch im Rahmen ihrer Merkmalsanalysen zu genau dem entgegengesetzten Schluss und sprechen diesbezüglich von „firm step from water to land„. Insbesondere die von den Autoren publizierten Kladogramme (s. Ahlberg und Clack 2006, S. 747; Daeschler et al. 2006, S. 761) stehen im Widerspruch zu Junkers Einschätzung, denn sie verdeutlichen modellhaft, in welcher Reihenfolge sich die Merkmale landlebender Tetrapoden entwickelt haben, auch wenn die Entwicklung zunächst in marinen Uferbereichen zum Erwerb von tetrapoden Füßen führte.

Gewiss: Tiktaalik und Acanthostega dürften neben einigen ursprünglichen („fischartigen“) Merkmalen sicher auch einige ganz spezielle Merkmale (Eigenanpassungen) aufweisen, die nicht über eine Abstammungsreihe der kontinuierlichen Veränderung zu den landlebenden Tetrapoden geführt haben konnte (Heterobathmie). Shubin et al. (2006, S. 768) weisen zudem darauf hin, dass die Ähnlichkeit bestimmter Strukturen devonischer Fische (wie z.B. Sauripterus) und Tiktaalik ihre Ursache nicht in gemeinsamer Abstammung haben, sondern konvergent (d.h. unabhängig voneinander) entstanden sind (Homoplasie). Dies liest sich bei Junker z.B. so:

Tiktaalik hatte deutlich andere ‚Übergangsmerkmale‘ auf dem Weg zum Landleben als Acanthostega. Der Weg aufs Land konnte nicht über beide Formen zugleich führen, es sei denn, er wurde mindestens zweimal unabhängig durchlaufen, womit dann aber die Vierbeinigkeit nicht mehr als Schlüsselmerkmal (d. h. als Hinweis auf gemeinsame Vorfahren) gelten könnte, sondern konvergent entstanden wäre.

Was dieser Einwand verdeutlichen soll, ist nicht erkennbar, denn eigentlich wiederholt Junker nur eine Erkenntnis, die von den Evolutionsbiologen längst vertreten wird: Ausgehend vom cladogenetischen Aspekt der Evolution (Artaufspaltung) wird heutzutage kaum ein Evolutionsbiologe eine völlig kongruente (harmonische) Umwandlung der Arten, geschweige denn die Existenz kontinuierlicher Abstammungsreihen voraussetzen. Wie oben bereits betont wurde, sind „connecting links“ in den Augen der Evolutionsbiologen schlicht Mosaikformen, die eine diskontinuierliche, teils inkongruente Merkmalsverteilung zeigen, die auf Konverenz schließen lässt. Hierfür kommen auch entwicklungsbiologische Gründe (konstruktive Zwänge) infrage (siehe oben). Daraus folgt nun aber nicht, dass die Vierbeinigkeit nicht mehr als ein von einem gemeinsam Vorfahren der Tetrapoden erworbenes (Schlüssel-) Merkmal gelten könne. Die von Shubin et al. (2006, a.a.O.) diskutierten Homoplasien bedeuten zunächst einmal nur, dass sich die Extremitäten in einigen Entwicklungslinien unabhängig voneinander ähnlich spezialisiert haben.

Dass die von Junker kritisierte Sicht der Evolution keine zeitgemäße ist, belegt auch der folgende Einwand. Er schreibt: „Schon länger ist klar, dass auch das berühmte Ichthyostega … vor noch nicht langer Zeit die Ikone für den Übergang vom Wasser- zum Landleben, deutlich von einer vermittelnden Position entfernt ist … Nicht nur der Bau der Flossen, sondern auch der Schädelbau passt insgesamt nicht in eine evolutive Reihe von tetrapodenähnlichen Fischen hin zu frühen Tetrapoden. Auch in dieser Hinsicht würde sich Acanthostega auf einer anderen ‚Schiene‘ bewegen, wenn man die relevanten fossilen Gattungen in evolutionäre Linien einfügen wollte„.

Kein Evolutionsbiologe, der konsequent auf dem Boden der phylogenetischen Systematik steht, hat aber je gefordert, dass Panderichthys, Tiktaalik, Acanthostega und Ichthyostega auf „einer Schiene“ von tetrapodenähnlichen Fischen hin zu frühen Tetrapoden“ überleiten müssten – dies wäre im Hinblick auf die modernen Kenntnisse der Entwicklungsbiologie und Kladistik geradezu widersinnig (Neukamm und Kutschera 2006). Warum Junker eine derartige Forderung erhebt, bleibt somit unklar; sie dürfte wohl in die Kategorie der „Strohmann-Argumente“ einzuordnen sein. Wo, so ist zu fragen, will man in dem evolutionären Dickicht von Verzweigungen, denen entlang sich die Stammesgeschichte ihre gewundenen Wege bahnt – überhaupt eine „Hauptschiene“ der Entwicklung ausmachen? Angesichts des vielfältigen Auftretens von Artspaltungen wird man ein komplexes evolutionäres Übergangsfeld annehmen müssen, in dem die fossilen Formen unabhängig voneinander einige ursprüngliche Merkmale reduziert (oder zu speziellen Merkmalen umgewandelt), und andere Merkmale wiederum vielfach konvergent entwickelt haben; dies ist kein stichhaltiger Einwand gegen Evolution.

Fazit: Die Evolution lässt sich jeweils nur über gewundene Wege bis zu einem letzten gemeinsamen Vorfahren zurückverfolgen, „aber kein Weg verläuft gerade, und alle führen über seitliche Schritte von einem Artbildungsereignis zum nächsten in die Vergangenheit, nicht über eine Abstammungsleiter der kontinuierlichen Veränderung“ (Gould 2002, S. 92). Wenn Junker daraus folgert, dass die Gattung Acanthosteganicht als vermittelnde Form zwischen Tiktaalik und landlebenden Tetrapoden infragekomme„, zieht er einen falschen Schluss, denn er macht die Evolution einfacher, als sie aufgrund des aktuellen Hintergrundwissens angenommen werden muss (Neukamm und Kutschera 2006).

Junkers Versuch, den Status von Tiktaalik als connecting link zu schwächen, ist daher eigentlich müßig, zumal er ja selbst einräumt, das Merkmalsmosaik passe „gut in einen Übergangsbereich zwischen Fischen und Vierbeinern„. Das bedeutet doch nichts anderes, als dass die Neuentdeckung eine wichtige Bestätigung der Evolutionstheorie liefert, die modellhaft zeigt, in welcher Reihenfolge sich evolutive Neuheiten entwickelt haben bzw. wie die Entwicklung über randlich marine, wahrscheinlich stark verkrautete Bereiche zum Erwerb von tetrapoden Füßen im Wasser führte (Neukamm und Kutschera 2006). Sie verdeutlich zudem, dass Evolution nicht über eine kontinuierliche und kongruente Abstammungsreihe, sondern mosaikartig und streckenweise konvergent verläuft.

Resümme

Im Einklang mit Junker lässt sich feststellen, „dass Tiktaalik das Spektrum von Fischen mit tetrapodenartigen Merkmalen erweitert und in diesem Sinne … einen Baustein für evolutionäre Übergangshypothesen darstellt. Die morphologische Lücke zwischen manchen Formen wird mit dem neuen Fund verkleinert.“ Darüber hinaus wird man aus evolutionärer Sicht aber auch zu dem Schluss gelangen, dass Tiktaalik – ungeachtet der Lückenhaftigkeit des Fossilienbefunds – die Deszendenztheorie erneut bestätigt und modellhaft viele der bislang unbekannt gebliebenen Details bei der Entstehung der Tetrapodenextremitäten zu rekonstruieren erlaubt.

Wie oben betont wurde, impliziert Evolution das schrittweise Auftreten neuer Merkmale und Arten – von den ältesten Fossilschichten aus betrachtet nähern sich die Lebewesen in stufenweiser Abänderung den heutigen Formen („descent with modification“). Angesichts der reichhaltigen Fülle von Mosaikformen, wie Eusthenopteron, Panderichthys, Tiktaalik, Acanthostega, Ventastega, Ichthyostega usw., die sich allesamt als paraphyletische, hierarchisch ineinander geschachtelte Gruppen zur Kronengruppe der Tetrapoden anordnen lassen, wird diese zentrale Erwartungen der Deszendenztheorie bestätigt. Aufgrund dessen ist Junkers rhetorische Frage „Hieß es nicht schon seit Jahrzehnten, die wesentlichen fossilen Belege für diesen Übergang seien gefunden worden?“ natürlich klar zu bejahen. Tiktaalik ist eben eine weitere Mosaikform, die gut in das Übergangsfeld passt. Die Auffassung von Ahlberg und Clack (2006), wonach die morphologische Lücke – trotz Panderichthys, Acanthostega, Ichthyostega und anderen overdevonischen Tetrapoden-Gattungen – „frustrierend weit geblieben“ sei, bildet hierzu keinen Gegensatz, sondern ist nur Ausdruck der quantitativen Beschränkung bei der fossilen Datenerhebung.

Literatur

Ahlberg, P.E.; Clack, J.A. (2006): A firm step from water to land. Nature 440, 747-749.

Daeschler, E.B.; Shubin, N.H.; Jenkins, F A. (2006): A Devonian tetrapod-like fish and the evolution of the tetrapod body plan. Nature, 440, 757 – 763

Dalton, R. (2006): The fish that crawled out of the water. A newly found fossil links fish to land-lubbers. http://www.nature.com/news/2006/060403/full/060403-7.html

Futuyma, D.J. (1990): Entwicklungsintegration und Makroevolution. In: ders.: Evolutionsbiologie. Birkhäuser, Basel, 497-498.

Gould, S.J. (2002): Illusion Fortschritt. Die vielfältigen Wege der Evolution. Fischer, Frankfurt.

Junker, R. (2006): Tiktaalik – ein erstklassiges Bindeglied? http://www.genesisnet.info/index.php?News=63

Junker, R.; Scherer, S. (1998): Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. Weyel, Gießen.

Kutschera, U. (2006): Evolutionsbiologie (2. erweiterte Auflage). Eugen Ulmer, Stuttgart.

Mahner, M. (1986): Kreationismus – Inhalt und Struktur antievolutionistischer Argumentation. Pädagogisches Zentrum, Berlin.

Neukamm, M.; Kutschera, U. (2006): Zwischenformen und Modellsysteme der Evolutionsbiologie. http://www.martin-neukamm.de/mudskipper.pdf

Shubin, N.H.; Daeschler, E.B., Jenkins, F.A. (2006): The pectoral fin of Tiktaalik roseae and the origin of the tetrapod limb. Nature 440, 764-771


 

AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen