Philosophischer oder methodischer Naturalismus?


Leseprobe:

von Martin Neukamm (2007):

Universalität und Mittelbeschränkung

In: Kutschera, U. (2007) Kreationismus in Deutschland. LIT-Verlag, Münster, pp. 190-194

3825896846.jpgEmpiristen unterscheiden gelegentlich einen „philosophischen“ (oder ontologischen) von einem „methodischen“ (gelegentlich auch methodologischen) Naturalismus, weil sie glauben, die Naturwissenschaften hätten die Philosophie hinter sich gelassen und sähen im Naturalismus nicht mehr als eine disponible Arbeitshypothese. Von den Antievolutionisten wird insbesondere der Universalitätsanspruch des Naturalismus, dem zufolge es in allen Bereichen der Welt sowie zu allen Zeiten „mit rechten Dingen“ zugeht, als „philosophisch überhöht“ abgelehnt. So meint etwa der ID-Vertreter D. Ratzsch (2002, S. 5): „… if one restricts science to the natural, and assumes that science can in principle get to all truth, then one has implicitly assumed philosophical naturalism“. Diese Aussage ist jedoch in mehrerlei Hinsicht falsch:

Erstens sind alle Naturalismen philosophische Positionen, denen bestimmte Annahmen über die Welt zugrunde liegen. Ein „methodischer Naturalismus“, der das zeitweilige Eingreifen transzendenter Kräfte in Betracht zöge (und der, wie wir gesehen haben, einen weitaus höheren metaphysischen Aufwand betreibt und somit gar kein kohärenter Naturalismus mehr wäre), wäre ebenfalls eine ontologische und damit philosophische Position. In gleichem Maße ist auch eine idealistische Ontologie, die davon ausgeht, dass Geist und Seele autonom existente Objekte sind, eine philosophische (mit dem wissenschaftlichen Weltbild unvereinbare) These.

Zweitens ist der wissenschaftliche Naturalismus nicht bloß ein „methodischer Atheismus“, ein „Werkzeug“, dessen Anwendungsbereich vorrangig auf das Experimentelle beschränkt sei und ansonsten als außerwissenschaftliche Grenzüberschreitung erkauft werden müsse, wie Junker und Scherer (2006, S. 14, 17f.) annehmen, sondern ein universelles wissenschaftsphilosophisches Prinzip: Weder im praktisch-experimentellen noch im theoretisch-erklärenden Bereich noch im philosophischen „Unterbau“ der Realwissenschaften tauchen supranaturalistische oder teleologische Faktoren auf. Wissenschaft besteht eben „nicht nur aus einem metaphysisch neutralen methodischen Regelwerk zum Herumexperimentieren, sondern lebt und floriert gerade auch wegen ihrer fruchtbaren philosophischen Grundannahmen“ (Mahner 1989, S. 34).

Der Universalitätsanspruch des Naturalismus und die damit verbundene Beschränkung der Mittel, die zur Beschreibung und Erklärung der Welt zugelassen werden, ist nicht etwa eine weltanschauliche Vorentscheidung, sondern wird aus Sparsamkeitserwägungen bzw. aufgrund der Erfahrung, dass nichts Objektives für eine transzendente Wirklichkeit spricht, in Betracht gezogen. Der Naturalist schließt also nichts a priori aus, sondern nimmt eine abwartende Haltung ein. Nach Bunge und Mahner (2004, S. 9) ist es durchaus denkbar, „dass … ontologische Prinzipien, wie das der Gesetzmäßigkeit oder das ex nihilo nihil fit (von nichts kommt nichts), nur lokal gelten. Würde sich dies bestätigen, wären sie als ontologische Prinzipien falsifiziert. Aber auch hier müsste man nach guten Gründen fragen, weshalb diese Prinzipien lokal beschränkt sein sollten. Wir müssen zunächst immer davon ausgehen, dass solche Prinzipien wirklich ontologische, d.h. allgemein gültige sind. Die bloße logische Möglichkeit bzw. Denkbarkeit, dass etwas auch anders sein könnte, ist kein Grund, diese Alternativen ernst zu nehmen“.

Auch die von M. Rammerstorfer (2006, S. 111) vertretene These, der „methodische“ Naturalismus sei ein entbehrliches Werkzeug, das „in der Regel auch nicht auf die Ursprungsforschung ausgedehnt“ werde, ist grundfalsch. Es gibt keine einzige wissenschaftliche Disziplin, in der ein teleologisches Prinzip zur Erklärung von Naturphänomenen herangezogen wird, schon gar nicht als „letzte Begründung“ von irgendetwas. Niemand, der es mit der Wissenschaft ernst nimmt, käme etwa auf die Idee, den Ursprung von Sternen, Planetensystemen, chemischen Elementen oder Embryonen auf einen Zwecksetzer anstatt auf natürliche, physikalisch-chemische oder biologisch-epigenetische Prozesse zurückzuführen.

R. Junker versucht zwar zu suggerieren, als würden historische Theorien, wie etwa „Planetenbildungstheorien … heute wieder mehr als in den letzten Jahren kontrovers diskutiert“ (Junker 2005a, S. 24). Das stimmt zwar hinsichtlich einiger Details, nicht aber in Bezug auf die globalen Implikationen und naturalistischen Voraussetzungen dieser Modelle. Offenbar hat sich unter den Experten niemand gefunden, der Junkers Sichtweise teilt, denn er zitiert lediglich zwei Artikel im kreationistischen Journal „Studium Integrale“, das sich jeder unabhängigen Qualitätskontrolle entzieht. International renommierte Fachleute, die etwas Originäres zum Thema zu sagen haben, erteilen den kosmologischen Vorstellungen der Kreationisten eine klare Absage.

Selbst im Bereich menschlicher Intentionalität ist jeder Planer in eine naturalistisch beschreibbare Welt eingebettet. Folglich berührt planvolles Handeln den Naturalismus gar nicht, denn alle Dinge, die wir kennen, unterliegen strikt den naturgesetzlichen Zwängen dieser Welt: „Die Erfahrung zeigt, daß auch intelligente Planer sterbliche, beschränkte und unvollkommene Wesen sind. Sie können weder Naturgesetze erschaffen, noch diese überwinden, sondern nur auf materialistischer Basis wirken … Schließlich sind alle Dinge, die Planer je hervorgebracht haben, tote Dinge, und die Erfahrung zeigt, daß wir als Planer der Mutation und Selektion unterworfen sowie durch natürliche Zellorganisation (reproduktiv) und nicht durch Planung entstanden sind“ (Neukamm 2004b, S. 15).

Zuguterletzt weist Pigliucci (2003, S. 54) darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen philosophischem und methodologischem Naturalismus auf einem Missverständnis bezüglich der Aufgaben der Wissenschaften beruht: „Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, die Existenz von Dingen zu beweisen, sondern brauchbare kausale Modelle über die Welt zu erstellen … Solange es keinen Beweis für die Existenz Gottes oder eines Designers im Universum gibt, kann die wissenschaftlich korrekte These nur lauten, dass es keinen gibt – es sei denn, es gibt gute Gründe, diese Position für falsch zu halten. Wenn man verstanden hat, dass die Wissenschaft nicht über endgültige Beweise, sondern nur über angemessene Arbeitsmodelle verfügt, wird die Unterscheidung zwischen methodologischem und philosophischem Materialismus überflüssig. Die Revision des materialistischen Standpunkts liegt ja immer im Bereich des Möglichen“ (ins Deutsche übertragen von M.N.).

Fazit: Der Naturalismus der Realwissenschaften ist weder ein methodischer Atheismus, noch eine weltanschauliche Grenzüber-schreitung im Sinne von Junker und Scherer (2006), sondern eine fehlbare, revidierbare Annahme und zugleich eine Art ontologische „Nullhypothese“ der Realwissenschaften, die auf dem Sparsamkeitsprinzip gründet (Mahner, pers. comm.). Danach gilt allgemein der Leitspruch „etsi deus non daretur“ – wir müssen die Welt beschreiben und erklären, als ob es Gott nicht gäbe. Dieses Vorgehen ist nicht etwa ein Verbot, derartiges zu denken oder gar Ausdruck einer anti-göttlichen Agenda, sondern entspricht der allgemein üblichen Methodologie, wonach man sagt: Solange weder ein objektives empirisches Moment, noch ein Theorem für die Existenz eines postulierten Faktums X spricht, existiert dieses X in den Augen der Wissenschaft nicht (Kanitscheider 1999).

Bezeichnenderweise ziehen Junker und Scherer (2006) den Naturalismus gar nicht als ontologische Nullhypothese in Betracht. Vielmehr präsentieren sie zwei fragwürdige Naturalismus-Varianten, mit denen der falsche Eindruck erweckt wird, als seien Evolutions- und Schöpfungsvorstellungen erkenntnistheoretisch gleichwertig (S. 19). Doch wer glaubt, die Natur auch „unter Vorgabe“ der biblischen Schöpfungsgeschichte erforschen zu können, könnte genauso gut wieder „Programme“ zu Erforschung astrologischer Mythen, des außerirdischen Ursprungs von Kornkreisen oder der Einflüsse extraterrestrischer Dämonen auferlegen und sie in Anlehnung an die kreationistische Argumentation „wissenschaftlich“ nennen. Damit wäre jede beliebige Spekulation als Wissenschaft zu akzeptieren.

Begründungspflichtig ist eben nicht derjenige, der die Nullhypothese vertritt, sondern derjenige, der sie angreift. Wer z.B. behauptet, „dass auf Neutronen-Sternen kleine grüne Männchen wohnen, muss dies zeigen. Nicht der Skeptiker muss beweisen, dass auf Neutronen-Sternen kleine grüne Männchen unmöglich sind“ (Kanitscheider 2003, S. 33). Sukopp (2006) sieht dies ganz klar, wenn er schreibt: „Der Theist (oder ein beliebiger Supranaturalist) muss die Existenz behaupteter Entitäten zeigen. Umgekehrt kann ein Naturalist die Nichtexistenz einer behaupteten Entität zwar argumentativ nahe legen, aber nicht beweisen. Einen Vorteil des Naturalismus können wir … in der sparsamen Verwendung metaphysischer Elemente sehen. Wenn wir schon nicht auf Metaphysik verzichten können, dann sollten wir das Universum nicht doch auch nicht mit beliebigen Entitäten bevölkern“ (S. 50).

Literatur

Bunge, M., Mahner, M. (2004) Über die Natur der Dinge. Materialismus und Wissenschaft. S. Hirzel Verlag, Stuttgart.

Junker, R. (2005a) Wissenschaft im Rahmen des Schöpfungsparadigmas. http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a02/a02.pdf. Zugr. a. 06.07.2006.

Junker, R., Scherer, S. (2006) Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. 6. Auflage. Weyel Lehrmittelverlag, Gießen.

Kanitscheider, B. (1999) Es hat keinen Sinn, die Grenzen zu verwischen. Spektrum d. Wissenschaften 11, 80 – 83.

Kanitscheider, B. (2003) Naturalismus, metaphysische Illusionen und der Ort der Seele. Grundzüge einer naturalistischen Philosophie und Ethik. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1, 33 – 34.

Mahner, M. (1989) Warum eine Schöpfungstheorie nicht wissenschaftlich sein kann. Praxis d.Naturwiss. – Biologie 38, 33 – 36.

Neukamm, M. (2004b) Weshalb die Intelligent Design-Theorie nicht wissenschaftlich überzeugen kann. MIZ 33, 14 – 19.

Pigliucci, M. (2003) Methodological vs. philosophical naturalism. Free Inquiry 23, 53 – 55.

Rammerstorfer, M. (2006) Nur eine Illusion? Biologie und Design. Tectum Verlag, Marburg.

Ratzsch, D. (2002) Design theory and its critics. Monologues passing in the night. Ars Disputandi 2. http://www.ArsDisputandi.org/publish/articles/000079/article.pdf. Zugr. a. 06.07.2006.

Sukopp, T. (2006) Naturalismus. Kritik und Verteidigung erkenntnistheoretischer Positionen. Ontos Verlag, Frankfurt/Main.

1 Comments

  1. „Umgekehrt kann ein Naturalist die Nichtexistenz einer behaupteten Entität zwar argumentativ nahe legen, aber nicht beweisen“
    Da frage ich mich, wie so ein Beweis eigentlich aussehen müsste? Ich denke, dass man die Nicht-Existenz des christlichen Gottes und vieler anderer Götter anhand logischer Widersprüche ihrer behaupteten Eigenschaften beweisen kann, z. B. kann ein Gott nicht gleichzeitig Vater, Sohn und heiliger Geist sein. Man nenne mir irgendein Argument für die Existenz irgendeines Gottes und ich widerlege es. Aber sehen wir den Tatsachen ins Auge: Argumente interessieren Gläubige gar nicht.

    Kann man sich ruhig kaufen, das gilt für beide Seiten – allerdings sollte man ein gewisses Vorwissen mitbringen.

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