„Man muss kritisches Material zeigen können – sonst spielen wir dem Terror in die Hände“


Margret Iversen vom Fachverband Ethik über den Schock von Paris, Mohammed-Karikaturen, Glaube und Meinungsfreiheit – und deren Grenzen im Unterricht.

Susanne Vieth-Entus | DER TAGESSPIEGEL

Foto: DPA

In Gedenken an den ermordeten Lehrer in Paris wurden vor der Französischen Botschaft in Berlin Blumen niedergelegt.

Frau Iversen, Sie sind Vorsitzende des Fachverbands Ethik in Berlin und haben bis zum Sommer an der Berliner Sophie-Scholl-Schule Ethik unterrichtet. Vergangene Woche wurde ein Lehrer in Frankreich mutmaßlich von einem tschetschenischen Islamisten enthauptet, weil er im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte. Was haben Sie empfunden, als Sie davon erfuhren? 

Mir ist es so gegangen wie wahrscheinlich sehr vielen Lehrern: Wir empfinden einen Schock. Das ist einer von uns. Es geht ans Herz.

Was wissen Sie über den Lehrer?

Schüler sagten, dass sie ihn mochten, weil er sich für ihre Belange interessierte. Er war beliebt, sein Unterricht interessant. Ein engagierter Lehrer. Da dachte ich: Wir wissen jetzt nur, dass er zum Opfer eines Fanatikers wurde. Aber wir wissen nicht, wie viele Schüler und Schülerinnen er zum Nachdenken gebracht hat. Wie viele mag gerade er immunisiert haben gegen fanatische Auffassungen? Das steht nicht in der Zeitung. Aber daran sollten wir denken!

Es wird jetzt vielerorts darüber diskutiert, wo die Grenzen verlaufen sollten, ob man zum Beispiel als Lehrer das Risiko eingehen sollte, den Glauben von Schülern zu verletzen.

Nein, man darf als Lehrkraft nicht den Glauben von Schülern verletzen. Aber man muss – zum Beispiel im Ethikunterricht – zur Diskussion stellen, wann und wie Glaube verletzt wird. Ich halte den Ethikunterricht für einen geschützten Raum, in dem es möglich sein sollte, über alles zu sprechen und auch solche Karikaturen zu zeigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schüler die Behandlung solcher Themen einfordern – etwa wenn in den sozialen Medien so etwas präsent ist. Man sollte sich dem im Ethikunterricht nicht verweigern. Schüler fordern die Auseinandersetzung. Ich staune immer, wie vielfältig die Meinungen sind, wenn sie erstmal geäußert werden. Eine gut gesteuerte Diskussion führt notwendig immer zu den Grundsätzen der Gleichheit und Fairness. 

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