Wolfgang Blau: „Hohe Summen werden investiert, um Desinformationen über die Klimakrise zu verbreiten“


Für den Medienmanager ist die Klimakrise die größte Herausforderung für den Journalismus. Es gelte, Lösungsansätze zu vermitteln

Oliver Mark | DERSTANDARD

Wolfgang Blau. Foto: Georg Wendt

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, mit der der Journalismus jemals konfrontiert war, sagt der deutsche Medienmanager Wolfgang Blau. Warum, das erklärt der Mitgründer des Oxford Climate Journalism Network im Interview mit dem STANDARD. Blau ist am Donnerstag, 28. Oktober, zu Gast im ORF-„Dialogforum“ zum Thema Klimakrise und Journalismus.

STANDARD: Welcher Terminus soll bei der Berichterstattung verwendet werden: Klimawandel, Klimakrise oder Klimakatastrophe?

Blau: Klimawandel oder Climate Change klingen eher verniedlichend. Im Zuge der Digitalisierung haben wir uns ja eingeredet, dass „change“ fast immer gut sei. Für den Climate Change gilt das leider nicht. Auch das Wort Klimakrise ist unpräzise, da eine Krise als vorübergehender Zustand definiert ist, keine heute lebende Person aber das Ende der Klimakrise miterleben wird. Klimakatastrophe ist dann etwas genauer, hilft aber in der öffentlichen Kommunikation nicht weiter, weil diese Katastrophe, gemessen an der durchschnittlichen Lebensdauer eines Menschen, zunächst ein Dauerzustand bleibt und sich als Begriff verbrauchen wird. Dass wir sogar mit der Benennung dieses Phänomens Schwierigkeiten haben, illustriert aber nur, wie sehr es den Rahmen unserer bisherigen menschlichen Erfahrung sprengt – und damit auch den Journalismus auf die Probe stellt.

STANDARD: Sie bezeichnen den Klimawandel als die größte Herausforderung, mit der der Journalismus jemals konfrontiert war. Warum?

Blau: Wir stehen vor der historisch einzigartigen Aufgabe, unsere Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent reduzieren zu müssen. Das mag sich banal anhören, läuft aber auf einen vollständigen Umbau unserer Volkswirtschaften hinaus, mit allen Verteilungskämpfen und industriellen Rückzugsgefechten, die damit einhergehen werden. Und bis zum Jahr 2030 sind es nicht einmal mehr 3.000 Tage. Speziell für den Journalismus kommt erschwerend hinzu, dass es in den Redaktionen viel zu wenige Naturwissenschafterinnen gibt und dass der Journalismus selbst eher eine retrospektive, eine rückblickende Aktivität ist. Als Journalisten berichten wir vor allem darüber, was gerade passiert ist, und ordnen das Geschehene dann rückblickend ein. Der französische Philosoph Albert Camus bezeichnete Journalisten deshalb als die „Historiker des Augenblicks“. In der Klimakrise muss der Journalismus nun oft Jahrzehnte in die Zukunft blicken, etwa in der Diskussion über die sinnvollsten Klimaschutzmaßnahmen, über die wir schon heute entscheiden müssen. Die Frage scheint deshalb erlaubt, ob der heutige Journalismus dieser Herausforderung und diesem unvermeidlich höheren Grad von Spekulation gewachsen ist.

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