Warum der Protest gegen Claudia Roth eine Wende für das jüdische Leben in Deutschland ist


Maram Stern | Berliner Zeitung

Ausgebuht von jungen Juden: Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne)Hendrik Schmidt/dpa

Der Skandal um den Auftritt von Claudia Roth auf der Jewrovision und die empörten Reaktionen vieler Teilnehmer liegen nun schon einige Wochen zurück, in unserer schnelllebigen Zeit genug, um schon wieder vergessen zu werden. Vergessen aber möchte ich vor allem den Protest der jugendlichen Besucher des Festivals nicht, denn er markiert für mich eine sehr entscheidende Wende für das jüdische Leben in Deutschland.

Als ich so alt war wie diese Jugendlichen, hätte ich mich nicht getraut, lautstark gegen die Staatsministerin – oder jeden anderen Politiker – zu protestieren. Wenn ich mich doch getraut hätte, wären heftige Vorwürfe meiner Eltern die Folge gewesen. Nicht, weil es unhöflich ist, Gäste auszubuhen. Nicht, weil eine Vertreterin der Bundesregierung per se Hochachtung verdient hätte. Meine Eltern hätten nicht gesagt: „So etwas tut man nicht.“ Sondern: „Als Jude tut man so etwas nicht.“

Man tat dergleichen als Jude nicht, um nicht aufzufallen. Juden waren und sind (mit Ausnahme Israels) immer und überall in der Minderheit, meistens in einer verschwindend kleinen Minderheit. In Deutschland machen Juden nicht einmal 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Minderheiten sind immer verletzlich.

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