Streicheln oder Schlachten? Warum unser Verhältnis zu Tieren so widersprüchlich ist


Leonie Zimmermann | stern.de

Rinder und Schweine gelten in Deutschland vor allem als Nutztiere. Dabei haben auch sie ein liebenswertes Wesen.  ©Chalabala / Getty Images

„Streicheln oder Schlachten“ ­– so lautet der Titel Ihres Buches. Es wirft einen soziologischen Blick auf unser Verhältnis zur Tierwelt. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür, Herr Sebastian?

Marcel Sebastian: Es ist enorm wichtig, dass wir über das Mensch-Tier-Verhältnis reden. Und bisher gab es dahingehend eine soziologische Lücke. Die öffentliche Diskussion ist bisher moralphilosophisch oder biologisch geprägt: Wie müssen wir Tiere behandeln und welche Fähigkeiten haben sie? Das sind natürlich auch wichtige Perspektiven, aber es braucht eine Analyse des gesellschaftlichen Wandels im Verhältnis zu Tieren.

Und wie lautet Ihr Fazit zum aktuellen Mensch-Tier-Verhältnis unserer Gesellschaft?

Wir sind als Gesellschaft mit so viel Freiheit gesegnet, dass wir heute viel mehr Optionen als früher haben, uns mit unserer Umwelt in Beziehung zu setzen. Das trifft auch auf unser Verhältnis zu Tieren zu. Die Tatsache, dass wir so ambivalent Tieren gegenüber denken, fühlen und handeln, liegt an unseren sich widersprechenden Interessen und Wertvorstellungen.

Was genau meinen Sie damit?

Auf der einen Seite wollen wir eine emotionale Beziehung zu Tieren aufbauen. Wir freuen uns zum Beispiel über Kontakt mit Hunden und Katzen, nehmen diese Tiere als Freunde oder Familienmitglieder wahr. Auf der anderen Seite wollen wir als Gesellschaft Tiere aber auch für unsere Zwecke nutzen. Wenn Menschen Fleisch und tierische Produkte konsumieren, nehmen sie auch die Tötung der Tiere und meist auch die Haltung in Mastanlagen in Kauf. Dieser Widerspruch zwischen Streicheln und Schlachten sorgt auch für einen inneren Widerspruch.

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