Die Masse der ukrainischen Kriegsdienstverweigerer durchkreuzen Nato-Interessen


Florian Rötzer | Overton

Bild: Generalstab der ukrainischen Streitkräfte

Man ist erst versucht, die Situation in der Ukraine mit der zu vergleichen, die in Deutschland im Kriegsfall eintreten würde. Das wird einem auch von Krieg=Frieden-Befürwortern nahegelegt, die Deutschland kriegstüchtig machen, die Militärausgaben steigern und am liebsten die Wehrpflicht wieder einführen wollen, weil schon jetzt seit Jahren nicht genügend junge Menschen sich bei der Bundeswehr verdingen.

Seit Jahren fehlen nach Personalplan 20.000 Soldatinnen und Soldaten. In ihren eben vorgelegten Bericht für 2023 schreibt die Wehrbeauftragte Eva Högl: „Die Truppe altert und schrumpft immer weiter.“ Berufssoldaten gibt es von den insgesamt 181.000 etwa 57.000, mit 114.000 sind die meisten Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, die oft nur kurz bei der Bundeswehr bleiben. Das Durchschnittsalter auf 33,8 Jahre gestiegen. Und ein Viertel der neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten steigt noch in der sechsmonatigen Probezeit aus. Auch die Frauen, auf die man gesetzt hatte, strömen nicht gerade zur Bundeswehr. Eigentlich sollte die Quote jetzt bei 20 Prozent liegen, faktisch beträgt die Frauenquote unter 10 Prozent – und es bewerben sich weniger.

Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Um der sinkenden Lust am Soldatensein entgegenzutreten, werden wieder Rufe nach einer Aktivierung der Wehrpflicht laut, die 2011 auch nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt wurde. Wird ein Spannungs- oder Verteidigungsfall ausgerufen, wird die Wehrpflicht automatisch für Männer ab 18 bis 45, im Krieg bis 60 Jahren eingeführt. Die große Frage würde dann sein, ob bei einer Generalmobilmachung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch aufrechterhalten wird. In der Ukraine war es nicht so, was die Bundesregierung aber nicht weiter interessiert, wie bei Staatsministerin Anna Lührmann deutlich wird, die im September auf eine diesbezügliche Frage antwortete:

„Die ukrainische Verfassung garantiert das Recht, aus religiösen Gründen den Dienst an der Waffe zu verweigern. Das ukrainische Recht kennt auch zahlreiche Ausnahmefälle, bei denen eine zum Wehrdienst verpflichtete Person aus familiären, gesundheitlichen oder persönlichen Gründen zurückgestellt werden kann. Dass im Verteidigungsfall Soldatinnen und Soldaten und zum Wehrdienst dienstleistungspflichtige Personen besonderen rechtlichen Verpflichtungen unterliegen, stellt im internationalen Vergleich keine Besonderheit dar. Der Bundesregierung liegen keine eigenen gesicherten Kenntnisse zur tatsächlichen Handhabung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung durch die Ukraine vor.“

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