Welche Arbeit macht uns zu souveränen Demokraten?


Interview Svenja Flaßpöhler | philosophie Magazin

Bild: ©Claudia Ast-Juergens/phil.Cologne

Es ist so weit. In ein paar Minuten findet hier in der Kölner „Flora“ der Höhepunkt der diesjährigen phil.COLOGNE statt. Die Stimmung ist fühlbar angespannt, Personenschützer und BKA-Beamte haben das Geschehen fest im Blick, denn: Der Bundeskanzler kommt, um mit dem Philosophen Axel Honneth dessen neues Buch Der arbeitende Souverän zu diskutieren. Die These des Buches lautet: Wir müssen Arbeitsplätze so einrichten, dass Menschen zu politischer Willensbildung befähigt werden. Was unter anderem heißt: Der Mensch muss sich in seiner Arbeit als jemand erfahren, dessen Meinung zählt. Und er muss genug Zeit haben, um sich zu informieren und zu bilden. Sollte Olaf Scholz dieser normativen Forderung zustimmen, stünde dem Arbeitsmarkt ein grundlegender Strukturwandel bevor. Fest steht immerhin eines: Die Demokratie ist in einer tiefen Krise. Wie also lässt sich sicherstellen, dass der Souverän der Demokratie – nämlich die Bevölkerung – im diskursiven Austausch bleibt und in die Lage versetzt wird, einen begründeten politischen Willen herauszubilden? Eine Frage, die auch den Bundeskanzler umtreibt, und so steht er plötzlich da und reicht dem Philosophen die Hand.

Philosophie Magazin: Die Befähigung zur politischen Willensbildung ist für eine liberale Demokratie zentral. Herr Scholz, Herr Honneth, wo liegt Ihrer Ansicht nach das Kernproblem mit Blick auf unsere Gegenwart, die ja auch von demokratiefeindlichen Tendenzen geprägt ist?

Olaf Scholz: Ich glaube, das Kernproblem liegt hier: Manche Journalisten und Politiker überschätzen das Informationsniveau der Bürgerinnen und Bürger und sie unterschätzen ihre Urteilsfähigkeit. Deshalb ist mein Appell, dass man im Hinblick auf den demokratischen Souverän das Informationsniveau hochhält, soweit man das kann. Zweitens dürfen wir einander nicht mit Misstrauen begegnen. Ich mache Politik im Vertrauen darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger ein eigenes Urteil haben und dass es so ähnlich sein könnte wie meins.

Axel Honneth: Was Sie, Herr Scholz, sagen, möchte ich zunächst einmal unterstreichen. John Dewey, der amerikanische Philosoph, sprach von der „Kunst der Öffentlichkeit“. Was er damit meinte, ist klar: Es bedarf einer großen Kunstfertigkeit, auch vonseiten der Medien, den Informationsfluss und Gedankenaustausch in der Öffentlichkeit so zu gestalten, dass alle Betroffenen sich angemessen einbezogen wissen können. Im Vergleich zu anderen Ländern steht die Bundesrepublik in dieser Hinsicht noch relativ gut da, weil wir nicht diesen hohen Grad an Privatisierung der Medien haben. Noch haben wir eine breite öffentlich finanzierte Medienlandschaft. Politische Informationen müssen für die Masse der Bevölkerung nachvollziehbar sein. Das gilt natürlich vor allen Dingen für diejenigen, die aufgrund ihrer beruflichen Belastungen und finanziellen Nöte – darauf kommen wir dann zu sprechen – ohnehin große Schwierigkeiten haben, Energie und Zeit für den Mitvollzug des Gedankenaustauschs in der politischen Öffentlichkeit aufzuwenden.

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