Verschwörungsangst und Viruswahn


In seinem Telepolis-Essay über die Sozialpsychologie der Impfgegnerschaft untersucht Götz Eisenberg die tiefenpsychologischen Mechanismen hinter der Impfgegnerschaft. Die „sozialpsychologische Dimension“ sei bislang in „aufgeregten Debatten über die Motive der Impfverweigerer zu kurz gekommen“, schreibt er.

Alan Schink | TELEPOLIS

Unter anderem führt er Impfgegnerschaft auf frühkindliche Ängste vor Penetration oder dem Fremden zurück. Es folgt eine Replik auf seine Thesen, die zeigt: Paranoia ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das gerade in der Corona-Krise sowohl Impfgegner wie Impfapologeten in einer kommunikativen Dynamik miteinander verstrickt.

Bevor auf einige Punkte näher eingegangen werden kann, soll festgehalten werden, dass bereits die Ausgangsbeschreibung des Essays nicht vollständig ist. Eine Psychologisierung der Impfgegnerschaft begleitet den Pandemie-Diskurs und die Impfkampagne schon seit Monaten.

Ein paar Beispiele: Am 9. Juli 2021 klärt RTL News mit einem Psychologen darüber auf, was zu tun sei, „wenn jemand aus meinem Umfeld Impfgegner ist“, im SWR-Gespräch vom 11. August diessn Jahres weiß der klinische Psychologe Peter Kirsch: „Hartnäckige Impfgegner erreicht man nicht“, ein anderer Psychologe und Experte für Gesundheitskommunikation spricht im September auf dem Nachrichtenportal Watson die nahezu gleiche Warnung aus.

Implizit vorausgesetzt wird bei den genannten und ähnlichen Behauptungen: Die Impfgegner sind mit ihrer Kritik, Skepsis oder Sorge im Unrecht oder falsch informiert – gleich wie Kinder. Auch Eisenberg geht in seinem Essay von dieser Annahme aus. Der Vorbehalt gegen eine Covid-19-Impfung wird dabei lediglich hinsichtlich eines vermeintlich defizitären „mindset“ oder sozio-psychologischen Komplexes untersucht, das er zur Kategorie der „Impfgegnerschaft“ verdichtet.

Schon diese Form des „Othering“ ist hochgradig problematisch, erzeugt es doch in unseren Köpfen, wie die Philosophin Svenja Flaßpöhler jüngst nochmals auf den Punkt brachte, „ein unterschiedsloses Kollektiv an Dummköpfen, die gegen jede Vernunft handeln“, während jene, die selbst psychologisieren, samt ihrer eigenen Interessen, Motive oder Komplexe, „unsichtbar“ bleiben und ihre Kritik so rationalisieren.

Psychologie der Verschwörungsmentalität

Bleiben wir noch bei der vermeintlich zu kurz gekommenen Psychologisierung – die genau genommen eine Psycho-Pathologisierung darstellt. Mit Eisenberg könnte man nun anführen, dass die exemplarisch angeführte Psychologisierung der Impfgegner nur an der Oberfläche kratzt und insofern vor allem verhaltenspsychologische Dimensionen (des Umgangs mit diesem fiktiven Kollektiv) betrifft.

Wäre es dennoch zutreffend, wie Eisenberg versucht plausibel zu machen, dass wenigstens die tiefenpsychologischen (und psychoanalytischen) Deutungen im Diskurs um Maßnahmen- und Impfkritik bislang zu kurz kamen? Auch das trifft so nicht zu. Dazu genügt ein Blick in die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 oder die Thesen zu den sogenannten „regressiven Rebellen“, die auch bei der soziologischen Beobachtung der Corona-Proteste zur Anwendung kamen.

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