Vater Bandera


Ein ukrainischer Sänger stimmte beim Christopher Street Day in München eine Hymne auf Stepan Bandera an. Die Rehabilitierung von Nazi-Kollaborateuren und Holocaust-Tätern ist jedoch ein Phänomen, das sich bei weitem nicht auf die ukrainische Geschichts­politik beschränkt.

Lara Schultz | jungle.world

»Unser Vater ist Bandera«. Porträt Banderas am Rathaus in Kyjiw während des Euromaidan am 14. Januar 2014 Bild: spoilt.exile / Wikimedia / CC BY-SA 2.0

»Unser Vater ist Bandera«, sang der offen bisexuelle ukrainische Singer-Songwriter Mélovin auf Ukrainisch am 24. Juni von einer Bühne beim Christopher Street Day in München. »Unsere Mutter ist die Ukraine, wir werden für die Ukraine kämpfen«, ertönte die Antwort aus dem Publikum. Mélovin ver­öffentlichte eine kurze Videoaufnahme dieses Auftritts auf Youtube, Instagram und Tiktok und schrieb dazu: »Wer hat gesagt, dass Bandera homophob war?«

Über seine Einstellung zu Homosexualität hat sich Stepan Bandera, der einer der Führer der 1929 gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) war und 1959 in München ermordet wurde, nicht geäußert. Dass die von der OUN formulierten »44 Regeln für einen ukrainischen Nationalisten« die elementare Bedeutung der Familie in der Mutterschaft und der Aufrechterhaltung der »Reinheit der Rasse und des Volkes« sahen, dass die OUN sich den italienischen Faschismus zum Vorbild nahm, dass ukrainische Rechtsextreme, die sich positiv auf die OUN beziehen, auch heutzutage die Zerstörung der traditionellen Institution Familie wittern und homophobe Propaganda betreiben – all das spricht eher dagegen, dass Bandera LGBT-Personen freundlich gesinnt gewesen wäre.

Die OUN, deren Abspaltungen noch bis in die fünfziger Jahre hinein tätig waren, habe stets auf Grundlage von biologistischem Determinismus argumentiert, schreibt die Historikerin Franziska Bruder. Die Propaganda der OUN habe stets die Bedeutung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen wie Familie, Stamm und Volk als Grundelemente der Nation betont und ein traditionelles Geschlechterverständnis gepflegt.

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