Und täglich grüßt das Murmeltier


Quelle: evolutionsbiologen.de
Quelle: evolutionsbiologen.de

:die Argumentation von Wort und Wissen

Ein Kommentar zur Rezension des Buchs „Und Gott schuf Darwins Welt“

Von Andreas BeyerAG Evolutionsbiologie des VdBiol

Unlängst haben Reinhard Junker und Henrik Ullrich von der Studiengemeinschaft „Wort & Wissen“ das Buch „Und Gott schuf Darwins Welt“ von Hansjörg Hemminger (Hemminger 2009)  rezensiert (Junker & Ullrich 2009). Wie erwartet fiel diese Rezension sehr negativ aus, denn Hemminger teilt das biblizistisch-literale Textverständnis von Wort & Wissen nicht. Aus diesem Grund kann es seitens der Studiengemeinschaft kein auch noch so kleines Zugeständnis an Personen oder Positionen geben, die z. B. die moderne Evolutionstheorie vertreten und somit logischerweise – wenn sie so wie Hemminger Christen sind – eine nicht-literale / nicht-wörtliche Lesart des Bibeltextes befürworten.

Positiv ist zu vermerken, dass Wort & Wissen sich im Vergleich zu allen anderen kreationistischen Autoren in der Wortwahl sehr zurück hält, man ist augenscheinlich bemüht, sachorientiert und so wenig polemisch wie möglich zu argumentieren. Es ist ebenfalls anzuerkennen, dass die Rezension auf das Buch und seinen Inhalt fokussiert, nicht auf die Person des Autors (Technik der ad-hominem Argumentation oder besser -Verunglimpfung, die sich unter Kreationisten leider ebenfalls hoher Beliebtheit erfreut). Bedauerlicherweise gibt es auch im atheistischen Lager so manchen, der sich hier ein Vorbild nehmen könnte. (Auf die theologischen Argumente soll hier nicht eingegangen werden, denn die sind eine Angelegenheit zwischen den weltanschaulichen Positionen der evangelischen Landeskirche einerseits und Wort & Wissen andererseits.)

Auf der Ebene des evolutionstheoretischen Diskurses ist der Text von Junker & Ullrich – wieder einmal – enttäuschend. Die Argumentation der Studiengemeinschaft ist immerzu durch dieselben Fehler, Verdrehungen und Immunisierungsstrategien gekennzeichnet. Angesichts der Tatsache, dass sie wiederholt auf diese Problematik hingewiesen wurde, muss man mittlerweile von Unbelehrbarkeit (schlimmstenfalls von bewussten Verdrehungen in obskurantistischer Absicht) sprechen und sich fragen, ob eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Wort & Wissen nicht aufgrund von Sinnlosigkeit beendet werden sollte.

Nach wie vor missachtet man die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Evolutionstheorie. Hierzu ein Beispiel – Hemminger schreibt auf S. 103:

Die Abstammungstheorie lässt sich vernünftigerweise und in Kenntnis ihrer „Dokumente“ nicht bestreiten, sofern man der menschlichen Vernunft überhaupt zutraut, rationale Erklärungen für Naturvorgänge zu finden. Eine wissenschaftliche Diskussion über diese Frage ist überflüssig.

Dies wird von Junker & Ullrich zitiert und wie folgt bewertet:

Die Evolutionstheorie ist also für Hemminger nicht mehr hinterfragbare Grundlage für die Diskussion der Beziehung von christlichem Glauben und Naturwissenschaft. Der Kritik an dieser Position stellt er sich in diesem Buch praktisch nicht.

Dies ist vollkommen an der Realität vorbei argumentiert: Die Theorien der empirischen Wissenschaften sind und bleiben grundsätzlich und immer hinterfragbar; das unterscheidet sie von weltanschaulich-dogmatischen Positionen wie der von Wort & Wissen. Sofern also neue, wissenschaftliche Befunde auftauchten, die Evolution in Frage stellten, würde man die Evolutionstheorie (‚ET‘), korrigieren, modifizieren oder im Extremfall sogar verwerfen (müssen). Solange jedoch derlei Befunde nicht bekannt sind, wird man den 100.000 Evolutionsbelegen keinen 100.001sten hinzu fügen wollen – es wäre sinnlos, weil Holz in den Wald geschleppt. Solange es derartige Befunde nicht gibt, wird man also auf der pragmatischen Ebene die Evolution, so wie sie im Wesentlichen von der heutigen Standard-ET beschrieben wird, als „Faktum“ ansehen (müssen). Dies mit einer nicht-Hinterfragbarkeit gleichzusetzen, ist völlig unsinnig: Das Römische Imperium, die Steinzeitkulturen, die Geometrie unseres Sonnensystems, die Atomtheorie – all das sind in exakt demselben Maße „Fakten“ wie unser modernes Bild der Evolution, ohne dass sich jemand ernsthaft darüber aufregt. Sollten neue Befunde auftauchen, wird man korrigieren. Solange das nicht der Fall ist, werden wir nicht in einem unendlichen, schwammigen Relativismus verfallen und alles als „unklar“ und „fragwürdig“ erklären.

Wiederholt wurde Wort & Wissen aufgefordert, wissenschaftliche Belege contra Evolution vorzulegen und im Rahmen wissenschaftlicher Publikationen in der Wissenschaftsgemeinschaft zu diskutieren. Kreationistische Schriften im Internet oder in christlichen Verlagen zählen nicht, wie man bei W&W sehr wohl weiß. Ebenso wenig zählen die „Fachgruppen“, in denen bei W&W wissenschaftliche Publikationen evolutionskritisch oder gar kreationistisch gedeutet werden, als wissenschaftliche Arbeit: Forschungsprojekte bedeuten eigene, praktische, mühsame Arbeit im Labor oder im Feld.

Junker & Ullrich schreiben weiter:

Das ganze Buch durchzieht ein grundlegender kategorialer Fehler: Hemminger setzt die Akzeptanz des Evolutionsparadigmas mit der Akzeptanz von Naturwissenschaft gleich. Diese Gleichschaltung ist aus mehreren Gründen sachlich falsch. Auch ohne das Paradigma Evolution gelang und gelingt eine erfolgreiche Naturwissenschaft.

Aus Hemmingers Text(en) diese „Gleichschaltung“ heraus zu lesen, ist ein fundamentales Missverständnis. Genau anders herum wird ein Schuh daraus: W&W verwirft oder negiert einfach alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, die mit ihrer Kurzzeit-Weltgeschichte inkompatibel sind: Weite Teile der Kosmologie, der Geologie, Geophysik, Evolutionsbiologie, Paläontologie, Archäologie und Religionswissenschaft – und dies nur, weil sie der wörtlichen Auslegung der Genesis im Wege stehen. Das kann und darf man ruhigen Gewissens und sachlich korrekt als „Wissenschaftsfeindlichkeit“ bezeichnen. Freilich: Außerhalb der „anrüchigen Wissenschaftszweige“ kann sicher auch ein Kreationist lege artis forschen: Da es keine biblischen Stellen gibt, welche die Atomtheorie in Frage stellen, wird ein kreationistischer Chemiker nichts anderes tun als ein aufgeklärt-christlicher oder atheistischer. Wie Junker & Ullrich ja selber schreiben:

Die Diskussion um Evolution, Design und Kreationismus berührt gerade diejenigen Wissenschaftsfragen überhaupt nicht, von deren Ergebnissen unsere Gesellschaft z.B. in Medizin und Technik profitiert. Zudem geht der Fortschritt der Wissenschaft keineswegs automatisch mit einem Fortschritt in Ursprungsfragen einher!

Genau so ist es! Und genau das steht ja gerade nicht zur Debatte – jedenfalls nicht im hier diskutierten Kontext Evolutionswissenschaft (und Kosmologie etc.).

Junker & Ullrich:

Evolutionsforschung, als methodisches Instrument, nutzt zwar wie jede Ursprungs- und Naturgeschichtsforschung naturwissenschaftliche Elemente, ist aber keine reine Naturwissenschaft, sondern eine historische Wissenschaft mit dem Ziel der Rekonstruktion von Naturgeschichte.

Auch hier erfolgt die bei W&W übliche Fehleinschätzung empirischer Wissenschaft: Es geht nicht um die Frage, ob wir es hier mit einer „naturwissenschaftlichen Frage“ zu tun haben, sondern um die Methodik der „empirischen Wissenschaft“ – und die ist dieselbe für Realwissenschaften mit und ohne historischer Komponente. Mit dem argumentativen Trick, hier eine künstliche Trennung zwischen „Gegenwartswissenschaften“ und „historischen Wissenschaften“ zu konstruieren, versucht W&W, historische Wissenschaften als „grundsätzlich weltanschaulich beeinflusst und geleitet“ abzuwerten und ergo kreationistischen Ideen qualitativ gleichstellen zu können. Auf die Unhaltbarkeit dieser Position wurde W&W mehrfach hingewiesen, was notorisch ignoriert wird.

Immer wieder erscheint Naturwissenschaft oder Wissenschaft in Hemmingers Buch faktisch als etwas objektiv Vorgegebenes, völlig unabhängig von subjektiven Elementen, wie ein absoluter Maßstab, der das weitere Denken und das Wie des Glaubens bestimmt.

Die Frage, ob überhaupt irgendetwas, völlig unabhängig von Subjektivität, absolut wahr und vorgegeben sein kann, muss man entschieden mit NEIN beantworten. Aber Hemminger hat nirgends dergleichen behauptet. Mit derartigen Vorwürfen lenken Junker & Ullrich davon ab, dass die empirische Wissenschaft (und damit auch die Evolutionswissenschaften) eine klar definierte, logisch strukturierte und vor allem prüfbare Methodologie besitzen, der von ihnen vertretene Kreationismus aber nicht.

Speziell der Naturwissenschaft wird damit ein Stellenwert und eine Qualität zugebilligt, die ihr nicht zukommen. Zum einen, weil sie „nur“ ein Werkzeug ist, mit dem man unter der Leitung verschiedener Paradigmen Daten gewinnen und „Wie“-Fragen beantworten kann. Sie ist aber kein Werkzeug, mit dem alleine Ursprungsfragen („Woher“-Fragen) sicher beantwortet werden können.

Auch in diesen Aussagen spiegelt sich ein wüstes Durcheinander aus Halbwahrheiten und Irrtümern: „Sicher“ kann man in der Wissenschaft rein gar nichts beantworten, jedenfalls nicht, wenn man die in der Mathematik und Logik gültigen Maßstäbe ansetzt. Allerdings ist die empirische Methode das einzig mögliche Vorgehen, welches im Bereich der Realwissenschaften zu sinnvollen und belastbaren Ergebnissen und Modellen führt. Die Behauptung, unter „verschiedenen Paradigmen“ wäre solche Wissenschaft möglich, ist schlichtweg absurd. Es gibt z. B. die empirisch-naturalistische Astronomie, daneben nur Hohlwelt“theorie“ und Astrologie. Es gibt die empirisch-naturalistische Medizin, Humanbiologie und Neurobiologie, daneben nur Wunderheilung, Phrenologie und das ganze, bunte Esoterik-Spektrum. Es gibt die empirisch-naturalistische Chemie und daneben solchen Unfug wie die Feinstofflehre. Keine einzige der alternativen Strömungen hat es jemals zu vorweisbaren Erfolgen gebracht; keine hat erklärungsmächtige und überprüfbare Theorien entwickelt, fruchtbare Forschungsprogramme und validierte Verfahren für irgend eine Fragestellung hervor gebracht, geschweige denn einen kontinuierlichen Erkenntnisfortschritt vorzuweisen. Dasselbe gilt für den Kreationismus (inklusive „Intelligent Design“). Das statische Schöpfungsparadigma mit dem florierenden Unternehmen der Evolutionsforschung zu vergleichen, wäre ungefähr so, als würde man einen Einbaum einem modernen Flugzeugträger gegenüber stellen. Mit dem Versuch, beide Paradigmen als methodologisch gleichrangig zu behandeln, wird Wort & Wissen nur Menschen überzeugen, die sich schon a priori (ohne die interpretierten Fakten) für Schöpfung und gegen Evolution entschieden haben.

Zum anderen, weil Naturwissenschaft von Menschen betrieben wird, die in einem soziokulturellen Kontext stehen, und daher weder wertfrei noch voraussetzungslos mit den Fakten und ihrer Interpretation umgehen. Auch der Verweis auf den methodischen Reduktionismus hebt diese Zusammenhänge nicht auf.

Niemand aber behauptet, empirische Wissenschaft könne voraussetzungsfrei betrieben werden. Sie ist auch nicht lückenlos und irrtumsfrei – wenn das so wäre, gäbe es nichts mehr zu erforschen. Würde man bei W&W eigene Forschung betreiben, wüsste man dies. Aber all dies kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die naturalistisch-empirische Methodologie das einzige Verfahren ist, mit dem man die Chance hat, Fehler zu entdecken und auszumerzen und somit zu den besten und sichersten Theorien zu gelangen, die es gibt: Die Wissenschaftsgeschichte spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache.

Insbesondere in der Ursprungsfrage sind weltanschaulich geprägte Vorgaben, in denen die naturwissenschaftliche Praxis eingebettet ist, unvermeidlich und erweisen sich als motivierende Faktoren in der Forschung.

Es ist evident, dass W&W hier das eigene Vorgehen auf ihre Gegner projiziert. Die ET ist entstanden durch Beobachtung der Natur, sie wird an Experimentaldaten und Beobachtungen gemessen und hat sich daran zu bewähren. Der Kreationismus entstammt der (willkürlich) wörtlichen Auslegung eines Jahrtausende alten Offenbarungstextes. Bei Evangelikalen / Fundamentalisten ist Kritik an diesem Text ebenso unmöglich wie Kritik an dessen Auslegung. Mehr muss hierzu nicht gesagt werden.

Übrigens: Hemminger hat im Buch auf S.124ff den W&W-Text „Passten alle Tiere in die Arche Noah?“ analysiert als Beispiel für den kruden Kreationismus, den man bei der Studiengemeinschaft eben auch antrifft, wenn man nicht nur das „Kritische Lehrbuch“ heranzieht (S. 124). Er hat Reinhard Junker vorgehalten, dass im Text falsche Zahlenangaben und grobe Fehler bei den Berechnungen gemacht werden. Es ist bemerkenswert, dass er auf diesen Vorwurf, der immerhin der fachlich massivste im ganzen Buch ist, im Rahmen seiner Reaktion mit keiner Silbe eingeht.

Schlichtweg peinlich ist der Verweis auf die angeblichen „Schwimmwälder“, mit denen Kurzzeit-Kreationisten krampfhaft versuchen, dem Problem der viel zu großen Kohlevorkommen für eine junge Erde Herr zu werden. Noch peinlicher ist die Behauptung, dies fände „starke Stützen in der aktuellen Fachliteratur“ (vgl. Fußnote 16) – die freilich nicht benannt werden. Letztlich handelt es sich nur um eine populäre Veröffentlichung von R. Junker. Der Leser mag sich selbst im Rahmen einer Internet-Recherche davon überzeugen, dass diese „Theorie“ ausschließlich von Kreationisten verbreitet wird, in der Fachwelt wird sie praktisch nicht vertreten. Junker & Ullrich behaupten, diese Idee stamme ja gar nicht von Kreationisten – mag sein. Aber das hilft ihnen auch nichts: Die Äthertheorie stammte auch nicht von Kreationisten – und sie war trotzdem falsch. Und deshalb wird sie heute nicht mehr vertreten – genauso wenig wie die Schwimmwaldtheorie (die allerdings im Gegensatz zur Äthertheorie niemals eine größere Rolle in der Fachdiskussion gespielt hatte). Wenn W&W ernst genommen werden will, muss man dort Abstand von solch unseriösen Argumentationsweisen nehmen.

Durch den ganzen Text ziehen sich derartige Vermischungen, Verwechselungen, Falschinterpretationen wie ein roter Faden. Weitere Beispiele könnten genannt werden, aber es würden sich immer dieselben Motive wiederholen.

Literatur

Hemminger, H.-J. (2009) Und Gott schuf Darwins Welt – Der Streit um Kreationismus, Evolution und Intelligentes Design. Brunnen- Verlag, Gießen. ISBN: 3765514292

Junker, R.; Ullrich, H. (2009)  „Und Gott schuf Darwins Welt“. Rezension von Reinhard Junker und Henrik Ullrich.

www.wort-und-wissen.de/info/rezens/b38.pdf

2 Comments

  1. Mit den „Paradigmen“ ist wohl Kuhns Wissenschaftstheorie vom Paradigmenwechsel gemeint, die sich ja sehr leicht relativistisch lesen lässt, ganz so, als sei die Naturwissenschaft ähnlich willkürlich wie die Religion (ein Vergleich, der von Kuhn selber hergestellt wird).

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  2. „Da es keine biblischen Stellen gibt, welche die Atomtheorie in Frage stellen, wird ein kreationistischer Chemiker nichts anderes tun als ein aufgeklärt-christlicher oder atheistischer.“

    Sollte man eigentlich denken, ja. Aber Herr Beyer unterschätzt die christlichen Fundamentalisten hier (bzw. überschätzt ihre Intelligenz): auf www Punkt commonsensescience Punkt org findet man eine Atomtheorie, die letztlich auf einer seltsamen Interpretation von Stellen im prophetischen Buch Hesekiel aufbauen…

    Kleines Zitat gefällig?
    „Atomism is incompatible with Judeo-Christian principles because atomism views matter as independent of God, either because it exists from eternity and denies creation by an Intelligent Designer, or because its motions and events are independent of control by a Sovereign Being.“

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