„Es gibt keinen Fachkräftemangel“


Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Automatisierung werden zu großen Umbrüchen auf dem Arbeitsmarkt führen. Manche Berufe wird es wohl nicht mehr geben. Ein Interview mit dem Arbeitsmarktexperten Simon Jäger.

Insa Wrede | Deutsche Welle

Werden wir in näherer Zukunft aufgrund des Fachkräftemangels zu viel Arbeit haben oder wegen der Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Automatisierung längerfristig zu wenig Arbeit? Ein Interview mit dem Arbeitsökonomen Simon Jäger, der seit Jahren zum Thema Arbeitsmarkt forscht, zuletzt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gelehrt hat und seit September das Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn leitet.

DW: Es gibt Studien für die USA, die sagen, dass dort fast die Hälfte der Beschäftigten zurzeit in Berufen arbeiten, die in den nächsten  ein bis zwei Dekaden technisch automatisierbar sind. Was glauben Sie, wie sieht langfristig die Arbeitswelt der Zukunft aus?

Simon Jäger: Wie die Arbeitswelt künftig aussehen wird, gestalten wir selbst mit. Das heißt, die eine „Zukunft der Arbeit“ gibt es nicht. Mit Blick auf die Vergangenheit sind solche Zahlen, wie die, die Sie gerade genannt haben, dass 50 Prozent der Berufe wegfallen, mit Vorsicht zu genießen. Aber die Arbeitswelten werden sich verändern – auch innerhalb von Berufen.

Ein schönes Beispiel dafür ist der Beruf des Schalterangestellten in Banken. Da gab es die Hypothese, mit der Einführung von Bankautomaten in 1980er Jahren, 90er Jahren würde dieser Beruf komplett wegfallen. Tatsächlich stieg aber in den USA die Zahl der Schalterangestellten. Das lag daran, dass die Banken dank der Bankautomaten einfacher expandieren konnten. Allerdings hat sich die Tätigkeit der Bankangestellten verändert, von einer vielleicht etwas einfacheren Tätigkeit, Ein- und Auszahlungen zu tätigen, hin zu komplexeren Tätigkeiten wie Beratungsdienstleistungen.

Über lange Fristen sind zukünftige Entwicklungen zwar immer schwer vorherzusagen, aber eine Sache, die wir in der Vergangenheit gesehen haben, ist, dass technologischer Fortschritt nicht dazu geführt hat, dass uns die Arbeit insgesamt ausgeht. Aber es hat sich gezeigt, dass sich die Art von Arbeit verändert. Das heißt, es kommen neue Berufe hinzu, manche Berufe fallen weg und in anderen ändern sich die Tätigkeitsfelder innerhalb eines Berufes. Und ich denke, dass es auch in Zukunft so sein wird.

Welche Arbeitsfelder haben denn noch eine Zukunft? Mit anderen Worten – was würden Sie Ihren Kindern raten, in welcher Richtung sollten sie bei der Berufswahl gehen?

Sie sollten den Beruf wählen, der ihnen am meisten Freude bereitet, weil es sehr schwer vorherzusagen ist, in welche Richtung sich sozusagen der Wind drehen wird. In der Vergangenheit haben wir gesehen, dass Technologien insbesondere Tätigkeiten ersetzt haben, die einfach von Maschinen und Computer durchgeführt werden können. Also alles, was standardisierbar ist, Routinetätigkeiten, wie Dinge sortieren, Dinge ordnen. Durch technologischen Fortschritt hat es in der Vergangenheit eine Art Aushöhlung der Mitte des Arbeitsmarktes gegeben. Bestimmte Tätigkeiten, wie beispielsweise die des Bibliothekars oder der Bibliothekarin haben sich stark verändert und sie werden auch weniger gebraucht. Einfach dadurch, dass wir ganz viele Informationen über Computer sehr schnell abrufen können.

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