Warum die Freiheit wichtiger ist als das Leben


Suitbert Cechura | Overton

Bild: Ajepbah/CC BY-SA-3.0

Da liegt schon eine seltsame Verkehrung vor, wenn das Prinzip der Freiheit wichtiger sein soll, als das eigene Leben. Von daher lohnt es sich, das Verhältnis von Freiheit und der eigenen Lebensgestaltung näher zu beleuchten.

Freiheit, das höchste Gut

Wenn die Freiheit betont wird, so bedeutet dies, dass niemand einem sagt, was man zu tun hat. Wie man sich kleidet, was man denkt, wie die Lebensgestaltung aussieht und wer der Lebenspartner oder die Partnerin ist, entscheidet jeder selbst. Sogar das eigene Geschlecht dürfen die Bürger selber wählen.

Allerdings lernt schon jeder Schüler im Sozialkundeunterricht, dass die Freiheit des einen an der Freiheit des anderen endet. Das ist etwas seltsam. Wenn einer Fußballspielen will und der andere Federball, wo ist da das Problem, außer dass jeder Mitspieler braucht. Der Satz von den Grenzen der Freiheit offenbart daher, dass die freiheitliche Gesellschaft  Gegensätze beinhaltet, die immer Freiheitsgrenzen notwendig machen. So soll diese Grenzsetzung sogar dazu dienen, die eigene Freiheit zu schützen, was nur unterstreicht, dass sich die Menschen in dieser Gesellschaft als Konkurrenten in Gegensätzen befinden, die diesen Schutz notwendig machen soll. So kann eben nicht jeder machen was er will, weil es jede Menge Gesetze und Vorschriften gibt, an die man sich zu halten hat.

Frei ist der Bürger nur im Rahmen dieser Gesetze, in deren Rahmen er sich frei bewegen kann. Und damit ist schon das Wesentliche festgelegt. Als freier Bürger soll jeder mit seinen Mitteln sein Glück machen und das ist der alles entscheidende Punkt. Hängt doch das Glück der freien Bürger ganz davon ab, über welche Mittel sie verfügen und da scheiden sich die Bürger schon. Es  gibt  die eine Sorte Bürger, die über Häuser, Waren und Geld verfügen und die andere Sorte von Bürgern, die über nichts anderes verfügen als über sich selbst. Insofern spaltet sich die Gesellschaft in Reiche und Arme, wobei niemand von Armut reden will, weil dies der Normalzustand der Mehrheit der Bürger darstellt.

Arm gilt in dieser Gesellschaft nur der, der außergewöhnlich arm ist, weswegen es einen Streit um die Grenze gibt. Armut wird oft vorstellig gemacht, als Hunger und großer Entbehrung, aber nicht als Mittellosigkeit, die einen zwingt, Geld zu verdienen. Die Menschen sind nach einem Autor aus dem 19. Jahrhundert frei im doppelten Sinne, sie stehen in keinerlei persönlicher Abhängigkeit und sind aber auch frei von allen Mitteln, die sie zum Leben brauchen. Um an die Lebensmittel zu kommen, benötigt jeder in dieser Gesellschaft Geld, da alles Eigentum ist und Eigentumswechsel mittels Geld erfolgt. Eigentum besteht  nicht in dem persönlichen Besitz einer Zahnbürste oder eines Autos, sondern in Waren, die der Besitzer nicht zum eigenen Konsum braucht, aber auf die andere zum Leben oder für ihre Zwecke benötigen.

Geld ist einerseits das Zugriffsmittel in der Gesellschaft, um an das zu kommen, was man haben will. Zum anderen ist es aber auch das Mittel, auf das es in dieser Gesellschaft überhaupt ankommt: Es ist Reichtum ganz getrennt von jedem Nutzen oder Gebrauchswert, aber gleichzeitig das Zugriffsmittel auf jeden Reichtum und auf Arbeit und Zeit der Menschen in dieser Gesellschaft. Es wird verausgabt in Maschinen, Waren und Menschen, um aus Geld mehr Geld zu machen. Auch wenn Kinder im Sozialkundeunterricht lernen, die Wirtschaft wäre für die Versorgung der Bürger da, ist das Verhältnis umgekehrt. Die Versorgung der Bürger ist bloßes Mittel, um den Reichtum der Reichen zu mehren. Was sich nicht lohnt, wird nicht hergestellt und so gibt es eben z. B. Versorgungsmängel bei Medikamenten.

Wenn von Wirtschaftswachstum in der Öffentlichkeit die Rede ist, dann geht es um die Vermehrung dieser Form des Reichtums, aus Geld soll mehr Geld werden – Kapital. Von daher ist der Spruch: „Es gibt Wichtigeres im Leben als Geld“ eine Verdrehung der tatsächlichen Verhältnisse, denn alles in dieser Gesellschaft kostet Geld von der Entbindung bis zur Beerdigung, von der Wohnung bis zum Essen, die Kleidung ebenso wie die Freizeit. Deshalb dreht sich auch alles um Geld und diejenigen, die nur über ihre Person verfügen können und so frei sind, sind gezwungen an Geld zu kommen, um zu leben. Ein Zwang, der nicht als Befehl oder als Aufforderung daherkommt, sondern als ein Sachzwang: Man braucht Geld zum Leben und wer nichts zu bieten hat außer sich selbst, ist gezwungen sich selber zu Geld zu machen, sprich sich als Arbeitskraft anzubieten.

Auch dieses Zwangsverhältnis gilt ebenso wie die grundlegende Armut nicht als solche, weil es als Normalität gilt, dass die Menschen in diese Verhältnisse hineingeboren werden, in denen sie sich den Zwängen zu stellen haben, die deshalb keine sein sollen. Das birgt aber noch etwas anderes: Wenn der Zwang der Verhältnisse, in der die Mehrheit der Bürger leben, gar nicht mehr als Zwang wahrgenommen wird, sondern als Freiheit gefeiert wird,  dann lässt sich daraus schließen, dass sie sich ein falsches Bild von ihrer Realität machen. Wie das aussehen kann, ist weiter zu untersuchen.

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