Unbildung als Zaubertrank


Narrenschiff von Thomas Bühler (2003), Quelle: Wikipedia

Aus Sebastian Brants Buch Narrenschiff (1494) stammt das zur Redensart gewordene lateinische Zitat mundus vult decipi („Die Welt will betrogen sein“). Sie besagt, dass sich Leute offenbar gern betrügen lassen, wenn man ihrer Selbstliebe schmeichelt oder ihre Vorurteile bedient (vgl. Sündenbock). Ein Narr „ist der Mensch, der sich seinen fragwürdigen Neigungen ergibt, etwa dem Quacksalbertum oder der Prozesssucht, den Modetorheiten oder dem Reliquienhandel frönt“, fasste der Literurwissenschaftler Joachim Knape 2005 Brants Menschenbild zusammen.

Der Weg zur Weisheit führt, so Rothkegel (1988), für Brant nicht über die „unmündige Frömmigkeit“, sondern über seinen fründ Vergilium, das heißt die menschliche Vernunft. Der Jura-Professor und Stadtkanzler in Straßburg war, wenn man seine zahlreichen Einblattdrucke und Flugblätter zu aktuellen und naturkundlichen Themen in den Blick nimmt, ein Ahnherr und Bruder im Geiste der säkularen Blogger-Szene.

Basis der allzu menschlichen Neigung oder gar Notwendigkeit zum Betrug durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte sind allemal die von den Individuen empfundenen Mängel der Güterverteilung in der  Gesellschaft und die eigene „Torheit“ (schönes altes Wort für Unwissenheit, Herdentierwesen und Leichtfertigkeit) . Die Unbildung, die nicht in Personaler- und Bürokratenmanier mit mangelnden Hochschulabschlüssen verwechselt werden sollte, ist das Einfallstor für alle Quacksalber, Politiker und Werber dieser Welt.

Niemand braucht es zu dabei zu wundern, dass je weiter rechts und lobbykratisch jemand steht, so wie der hessische Landeshäuptling Koch sich äußerte, die Bildungsausgaben bereitwillig geopfert werden dürfen. Denn Bildung der gemeinen Bevölkerung ist offenbar schädlich dem Wohlergehen der Wohlhabenden. Nach deren Vorstellungen sollen sich Hochschulbildung nur noch Kinder reicher Eltern leisten können, die sie wie in den USA auch mit hohen Semestergebühren erkaufen sollen. Ablenkend winkt man mit Stipendien-Almosen für ein paar wenige Hochbegabte. Notfalls darf man sich im Gegenzug für die anders nicht mögliche Finanzierung eines Studiums – wie in den USA üblich – ans Militär selbst ausverkaufen. Juchhei, mitten hinein in den Kriegseinsatz.

Unbildung ist das Lebenselixier, der Zaubertrank der skrupellosen Geschäftemacher und Ausverkäufer (Bankster und Politiker) der zivilisierten westlichen Welt. Wer keine kritische Haltung und hinreichende Kenntnisse hat in der Welt der Gegenwart, ist weitgehend wehrlos. Wie die jüngsten deutschen Debatten um Einsparen bei Bildung und Kinderbetreuung sowie Zensursula zum Bundespräsidenten zu küren zeigen, segeln wir lustig und trallala auf einem imposanten Narrenschiff des 21. Jahrhunderts. Reinhard Meys Livetrakt zu diesem Thema ist als YouTube Video immer noch sehenswert.

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Ein Teilgebiet des immerwährenden Kampfes gegen die Unbildung ist die Verteidigung der Grenzen der Wissenschaften gegen die Quacksalberei. Der Renaissance-Humanist Sebastian Brant ist ein historisch frühes Beispiel für diese Haltung. Der jüngst (am 22. Mai) verstorbene Wissenschaftsjournalist Martin Gardner hingegen markierte die Haltung der Vernunft-Verteidiger der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der von mir hoch geschätzte britische Skeptiker und Blogger (Bad Science Blog) Ben Goldacre hat anhand von Gardners Buch „In the name of science“ (1952) die jahrzehntelange Geschichte der Bekämpfung der Pseudowissenschaft und Quacksalberei rückblickend ins Visier genommen. Dabei kommt der schwarze Humor nicht zu kurz. Ich habe Auszüge übersetzt.

The noble and ancient tradition of moron-baiting

May 28th, 2010 by Ben Goldacre in bad science | 20 Comments »

Ben Goldacre, The Guardian, Saturday 29 May 2010

Buchcover
Martin Gardner Buch (1952)

Das war eine Ära als die Leute Bullshit ernster nahmen als heutzutage. Während heute Homöopathie in Universitäten gelehrt wird, da es populäre Nachfrage danach gibt, war der bemerkenswerteste Vorläufer von Gardners „Fads And Fallacies“ das Buch „Higher Foolishness“ , das der erste Präsident der Stanford University 1927 verfasst hatte. Die American Medical Association (Medizinervereinigung) fuhr Kampagnen gegen Presse-Publizität für Quacksalberei. Bullshit schien damals bedrängender zu sein als heute.

Es gab Anzeichen für einen Rückfall in religösen Fundamentalismus (in den USA), teils getrieben von bizarren Auffassungen wie  die von Velikowsky, und das Schwelgen in Pseudowissenschaft spielte eine Rolle, live und farbig illustriert, in einigen üblen Situationen.

(..) Ich habe die Erstausgabe (sie sind günstig zu haben), aber die Folgeauflagen sind sogar noch besser. Denn sie haben ein zusätzliches Vorwort, wo Gardner sich das Vergnügen macht, die attackierenden Zuschriften auszuwerten. Besonders die gegenseitige Empörung der Quack-Gruppen untereinander amüsiert. Sie hielten sich für unfairerweise in eine Reihe gestellt mit anderen, die sie für die wahren Scharlatane ansahen. Seit 60 Jahren hat sich nichts daran geändert. Das Beste, das wir erhoffen können, ist die einfache, dauerhafte Freude daran, wie Döspaddel geködert werden.

Vorwort PNG
Gardner Vorwort als PNG

Ben Goldacres Original-Text komplett lesen

5 Comments

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  2. Oh Danke soweit. Man schreibt so nebenbei ein bisschen Blog und freut sich wenn’s ankommt.

    Der Berliner Maler Thomas Bühler (http://www.zeigdeinekunst.de/zdk-portal/userProfile/show/5142) war auch für mich eine Entdeckung. Nun fehlt ihm eigentlich nur noch ein biografischer Artikel in Wikipedia, um wirklich populär bekannt zu werden. Ob die übertriebenen Relevanzkriterien der Deutschen Wikipedia das allerdings zulassen, steht noch nicht fest.

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