Aufklärung macht Arbeit


Vor dreißig Jahren erschien in Frankreich der bahnbrechende Essay „Die Niederlage des Denkens“. Darin warnte der Philosoph Alain Finkielkraut vor einer Nationalisierung der Werte und warb für mehr Universalismus. Eine Wiedervorlage zur Flüchtlingskrise

Von Tilman Krause | DIE WELT

Wo einer herkommt, ist natürlich immer interessant. Aber wo einer hingeht, kann auch ganz aufschlussreich sein. Wenn er denn hingeht, weggeht. Wenn er sich aus vorbewussten Prägungen befreit. Wenn er denn das Unwissen oder um mit Kant zu sprechen: die Unmündigkeit hinter sich lässt und zu einem autonomen Individuum wird. Denn das ist ja beileibe nicht selbstverständlich.

Vieles hindert einen heute an dieser Arbeit am eigenen Ich. Die Macht der Religionen oder antidemokratische Regime spielen dabei zumindest in unseren Breiten keine übermäßig große Rolle mehr. Aber auch die Spaßgesellschaft setzt andere Prioritäten und legt vor allem darauf Wert, dass wir konsumieren. Und das turbokapitalistische Zeitalter der Globalisierung, in das wir eingetreten sind, bevorzugt ebenfalls ein Menschenbild, in dem das autonome Individuum, um es vorsichtig zu sagen, nicht geradezu ein Wunschkind darstellt. Mobilität und Verfügbarkeit sind wichtiger.

Gegner des Autonomiepostulats können sich dabei auf allerhand antiaufklärerische Strömungen berufen, die bisweilen weit in die Geschichte zurückgehen. Sie zu kennen, kann daher nicht von Nachteil sein, wenn man Werte wie Freiheit, Vernunft, Gerechtigkeit auf seine Fahnen schreibt.

Das mag sich auch Alain Finkielkraut gedacht haben, als er vor dreißig Jahren seinem französischen Publikum mit der Studie „Die Niederlage des Denkens“ eine geistesgeschichtliche Spurensuche vorlegte, die sich gewaschen hatte. Gewaschen deshalb, weil sich der Autor, der schon damals zu den bekanntesten „neuen Philosophen“ zählte, die seit Ende der Siebzigerjahre die marxistischen Meisterdenker abzulösen begannen, sich mit so ziemlich allen damals in Kurs stehenden publizistischen Lagern anlegte.

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