„Religion kann anstößig sein“


Carlin_Religion

Der Historiker Thomas Großbölting erforscht das Verhältnis von Staat und Kirche. Ein Gespräch über das Kirchenasyl, laues Christentum und die Herausforderungen des Islam


WELT am Sonntag

Thomas Großbölting, Historiker der Uni Münster, muss nicht lange überlegen, wenn es darum geht, einen Ort für den Fototermin auszuwählen: die Lambertikirche. Dort hängen jene Käfige, in denen im 16. Jahrhundert exekutierte Wiedertäufer zur Schau gestellt wurden – drastische Erinnerung an einen Gottesstaat im Zeichen des Kreuzes.

Welt am Sonntag:

Derzeit befinden sich Kirchengemeinden mit dem Staat im Konflikt, weil sie Menschen Asyl gewähren, die von Rechts wegen abgeschoben werden sollten.

Thomas Großbölting:

Zwar sind es nur wenige Menschen, denen Kirchenasyl gewährt wird. Aber in ihrer symbolischen Dimension ist diese Diskussion hochinteressant. Der Streit um das Kirchenasyl bietet ein Beispiel dafür, dass Religion und Rechtsstaat nicht immer auf einer Linie sind und Religion auf diese Weise anstößig wird. Besonders interessant ist diese Konstellation, weil es hier die Religion der Mehrheitsgesellschaft ist, das Christentum nämlich, die sich mit der Rechtsstaatlichkeit anlegt.

Sie meinen im Unterschied zum Islam als Religion einer Minderheit?

Richtig. Wenn wir über das Burka-Verbot oder das Schächten von Tieren diskutieren, reden wir gerne von der Unvereinbarkeit mit christlich-abendländischer Kultur. Doch der Streit ums Kirchenasyl zeigt, dass es auch zwischen christlicher Religion und unserem Staat knirschen kann. Die Spannung zwischen Staat und Religionsgemeinschaft ist also kein spezifisches Phänomen des Islam.

Sie haben das Verhältnis von Staat und Religion in der Bundesrepublik untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Politik es versäumt habe, die Gesellschaft auf eine religiöse Vielfalt im Land vorzubereiten.

Insbesondere die beiden großen Volksparteien ruhen sich auf dem aus, was man in der Nachkriegszeit als sogenannte „hinkende Trennung“ von Staat und Kirche etabliert hat. Beide haben sich darin bequem eingerichtet.

weiterlesen

2 Comments

Kommentare sind geschlossen.